Donnerstag, 15. Juni

Gegen Hals- und Beinbruch

Ärzte:innen als Bergretter

Natascha Plankermann

Wo andere die Pisten hinunter wedeln, fliegen sie im Notarzthubschrauber zu verletzten Skifahrern oder Bergsteigern, die von Lawinen verschüttet werden: Notärzte der Bergrettung sind 365 Tage im Jahr auf Bereitschaft. Chefmediziner Dr. Christian Bürkle aus Vorarlberg, dem westlichsten Bundesland Österreichs, ist einer von ihnen.

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Patrick Hendry | unsplash.com

Im Eis eines gefrorenen Wasserfalls herumzuklettern, das gehört zu den Leidenschaften von Christian Bürkle. Außerdem steigt er gern aufs Mountainbike und schwebt mit dem Gleitschirm über den Berggipfeln: mit anderen Worten, der 33-jährige Österreicher ist ein sportlicher Alpinist durch und durch – und das muss man in seinem Beruf auch sein. Wie sonst sollte er es schaffen, auch mitten in der Nacht in felsige Schluchten hinab zu kraxeln, um abgestürzte Bergsteiger oder Skifahrer zu behandeln, die in eine Lawine geraten sind? Bürkle ist Bergretter seit seinem 17. Lebensjahr. Ein Engagement, das in seiner Familie zur Tradition gehört: „Mein Großvater hat die Bergrettung in Vorarlberg vor 65 Jahren gegründet und mein Vater macht heute noch mit“, erzählt der Mann, der meist mit der Pistenraupe oder dem Notfallhubschrauber zu seinen Einsätzen unterwegs ist – wie alle anderen Bergretter freiwillig als Ehrenamtlicher. Hauptberuflich arbeitet er im Lehrkrankenhaus in Feldkirch als Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin.

Ausgebildet in alpiner Notfallmedizin

Die meisten Notärzte in der Bergrettung sind Anästhesisten oder Unfallchirurgen“, sagt Bürkle. Jeder dieser Mediziner macht in Österreich darüber hinaus ein Notarztdiplom, das alle zwei Jahre wieder aufgefrischt wird. Hinzu kommt eine spezielle alpinnotfallmedizinische Ausbildung. Und stets gibt es wieder neue Erkenntnisse zu Themen, mit denen die Ärzte sich befassen müssen: „Jedes Jahr bilden wir uns in alpiner Notfallmedizin fort und erfahren beispielsweise mehr über Rettungsmöglichkeiten nach einem Lawinenunglück“, sagt Dr. Christian Bürkle.

Verschütteten zu helfen gehört für ihn zu den schwierigsten Aufgaben: „Wir wissen nicht, was Menschen während des Lawinenabgangs mitgemacht haben, wenn wir sie finden. Es kommt zum Beispiel darauf an, ob sie in luftigem Schnee stecken oder ob dieser so hart ist, dass die Menschen quasi einzementiert wurden.“ Verletzungsmuster, die immer wieder auftauchen, sind Veränderungen in der Lunge: „Diese werden durch den Unterdruck in der Lawine verursacht – dort besteht eine sehr hohe Erstickungsgefahr“, erläutert der erfahrene Bergrettungsarzt.

Viele Touristen überschätzen sich selbst

Nur in seltenen Fällen gelingt es wie unlängst, jemanden schon 20 Minuten nach Lawinenabgang im Schockraum im Krankenhaus Feldkirch liegen zu sehen und sich mit Kollegen aus mehreren Fachrichtungen intensiv um ihn zu kümmern. Oft hat Bürkle oder einer der anderen 40 Ärzte, die am Vorarlberg im freiwilligen Einsatz sind, Patienten in solch‘ lebensbedrohlichen Situationen über Stunden in seiner Obhut. Denn eine Bergung aus einer tiefen Schlucht kann dauern. „Während dieser Zeit ist es wichtig, alle Veränderungen bei den Menschen richtig zu beurteilen und darauf zu reagieren“, sagt Christian Bürkle. Dafür trägt er in seinem Rucksack eine Ausrüstung wie in einem Notarztwagen bei sich – ein mobiles EKG-Gerät, viele Notfallmedikamente oder ein Defibrillator gehören unter anderem dazu. „Kürzlich haben wir einen Patienten, der sich mitten im Wald ein Polytrauma (= lebensgefährliche Mehrfachverletzung) zugezogen hat, in einer Vollnarkose künstlich beatmet und wie in einem OP überwacht, bis eine Bergung möglich war“, erzählt der Notarzt. Er trifft zunehmend auch auf Menschen mit gesundheitlichen Schwierigkeiten, die sich früher nicht in die Berge gewagt hätten. Heute ist es nicht selten, dass man zu einem Schlaganfall- oder Herzinfarktpatienten in eine Skihütte gerufen wird. „Die Menschen überschätzen sich völlig“, sagt Bürkle, und erzählt von einem Patienten, der nach einer stundenlangen Reise aus seinem Heimatland, das unter dem Meeresspiegel liegt, gleich auf 3000 Höhenmeter emporstieg. „Ihm wurde schwindelig und er stürzte gegen einen Felsen. Jetzt ist der Mann vom Hals abwärts gelähmt.“

Die perfekte Ausrüstung ersetzt nicht den Bergführer

Solche dramatischen Fälle stehen für die Bergretter in Vorarlberg glücklicherweise nicht auf der Tagesordnung. Denn man beobachtet bei vielen Gästen, die in die Alpen kommen, inzwischen auch ein größeres Bewusstsein für die drohenden Risiken. Dafür sorgen unter anderem tragische Geschichten wie diejenige des niederländischen Prinzen Friso, der nach einem Skiunfall über Monate im Koma lag, bevor er starb. „Anschließend waren die Rucksäcke mit Airbags, die Verschüttete in einer Lawine nach oben treiben, hier in Vorarlberg ausverkauft. Sie sollten inzwischen bei fast Skitour zum Standard gehören, ebenso wie eigentlich jeder Skifahrer einen Schutzhelm tragen soll“, sagt Bürkle. Doch selbst die beste Ausrüstung könne bei Unerfahrenen den Skilehrer oder Bergführer nicht ersetzen. Der Bergrettungsarzt ist froh über jeden, der sich einer solchen Begleitung anvertraut und ihm so einen der vielen Einsätze erspart, die sich vor allem jetzt während der Wintersportsaison rund um die Uhr häufen.

Sicherheits-Workshops für Tiefschneefahrer in Lech

Sicherheit ist für leidenschaftliche Alpinisten wie Dr. Christian Bürkle das A und O – Unerfahrenen rät er, sich einem Bergführer anzuvertrauen. Foto: privat

Auch in Skiorten wie Lech und Zürs am Arlberg kümmert man sich um ein verantwortungsvolles Verhalten der Gäste: Zum zweiten Mal startete im Dezember 2013 die „Snow & Safety Conference“ mit Workshops rund um das Thema Sicherheit abseits gängiger Pisten im Tiefschnee. „Profis der Freeride-Szene wie Weltmeisterin Nadine Wallner oder die Worldtour-Fahrer Lorraine Huber und Stefan Häusl zeigten, wie man beispielsweise Lines am Berg auswählt, plant und sicher fährt“, berichtet Pia Herbst von Lech Zürs Tourismus. Ein Film fasst die Ergebnisse der Konferenz zusammen, die für Lech und Zürs schon allein deshalb wichtig sind, weil dort 200 Kilometer Tiefschneeabfahrten zahlreiche Wintersportfans locken.

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