Erfahrungen aus der Hausarztpraxis
Während meiner letzten Famulatur in einer Hausarztpraxis durfte ich zunächst die Gespräche des Arztes begleiten, später selbst übernehmen. Ich führte Anamnesen, untersuchte Patienten und stellte anschließend Befunde und Therapievorschläge vor. Das war lehrreich – aber auch emotional fordernd. Besonders dann, wenn sich Kommunikation schwierig gestaltete.
Fall 1: Wenn Angehörige übernehmen
Eine ältere Patientin kam gemeinsam mit ihrer Tochter. Diese war extra angereist und sofort entschlossen, dass „jetzt etwas getan werden muss“.
Die Mutter klagte über schmerzende Zehennägel. Der Befund war eindeutig: ein ausgeprägter Nagelpilz. Ich empfahl, die Patientin zum Hautarzt zu überweisen.
Noch bevor die Mutter antworten konnte, übernahm die Tochter das Gespräch.
„Sind Sie sich da sicher? Das sieht doch entzündet aus. Ich arbeite in einem Pflegeheim, ich kenne das.“
Ich erklärte den Befund, meine Erfahrung und die Leitlinienempfehlung. Doch die Tochter blieb unbeeindruckt. Schließlich kam der Arzt hinzu, bestätigte meine Einschätzung – und wurde ebenfalls überstimmt.
„Ich frage bei der Krankenkasse nach. Das bringt Ihnen wohl nicht genug Geld“, sagte sie.
Als sie im Sprechzimmer telefonieren wollte, baten wir sie hinaus. Die Mutter entschuldigte sich leise.
Wenig später kam die Tochter zurück: „Brauchen wir dafür eine Überweisung?“ Offenbar hatte sie die gewünschte Bestätigung erhalten.
Fall 2: Wenn Angst zur Krankheit wird
Ein 23-jähriger Patient berichtete über Brustschmerzen und Herzrasen. Die Befundlage war eindeutig: zahlreiche Untersuchungen – Labor, EKG, CT, Kardiologie, Pulmologie – alles unauffällig.
Ich erklärte ihm, dass keine organische Ursache vorliege.
„Ich bilde mir meine Symptome nicht ein“, entgegnete er.
Er schilderte Herzklopfen, Schweißausbrüche, Schwindel, Engegefühl – typische Zeichen einer Panikstörung. Ich sprach ihn vorsichtig darauf an.
Er gab zu, in solchen Momenten große Angst zu empfinden, glaubte aber fest an eine körperliche Ursache. Sein Vater habe schließlich auch Herzprobleme.
Ich versuchte, das Gespräch ruhig zu halten, erkannte jedoch: Rationales Argumentieren hilft nur bedingt.
Am Ende einigten wir uns auf zwei Schritte – er würde einen Psychiater aufsuchen, um die Angst besser einordnen zu können, und wir würden parallel medizinisch weiter beobachten. Eine stationäre Abklärung lehnte er ab.
Nach dem Gespräch war ich erschöpft. Über eine Stunde hatte ich versucht, den Patienten zu erreichen – mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen. Doch im späteren Berufsalltag werde ich diese Zeit kaum haben.
Kommunikation ist oft eine Gratwanderung
Solche Begegnungen zeigen, wie sehr ärztliche Kommunikation von emotionaler Intelligenz abhängt.
Empathie allein genügt nicht; sie braucht Struktur, klare Grenzen und Selbstreflexion.
Manche Gespräche lassen sich nicht „lösen“ – sie müssen ausgehalten werden.
Patientinnen und Patienten wollen sich verstanden fühlen, auch wenn ihre Erwartungen nicht erfüllt werden können.
Manchmal ist die Aufgabe, Verständnis zu zeigen, ohne nachzugeben – sachlich zu bleiben, ohne Distanz zu verlieren.
Fazit
Der „schwierige Patient“ ist keine Ausnahme, sondern Teil des Alltags.
Hinter Ablehnung, Wut oder Misstrauen stecken meist Angst, Kontrollverlust oder Hilflosigkeit.
Für junge Ärztinnen und Ärzte heißt das: Kommunikation will gelernt, geübt und immer wieder reflektiert werden.
Denn medizinische Kompetenz überzeugt nur dann, wenn sie verständlich und menschlich vermittelt wird.