Dienstag, 13. Juni

Arzt sein

Lebensgefühl und/oder Job?

von Yavi Bartula

„Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt!“ Niemand wird daraufhin sagen: „Na und?“, sondern ehrfürchtig beiseitetreten und bewundern beobachten. Wieso reagiert die Gesellschaft so und was bedeutet dieser Satz für den Arzt selbst?

Dass Ärzte eine große Verantwortung tragen, oft Außergewöhnliches leisten und deshalb absolut unabdingbar sind, ist jedem klar. Einer der anspruchsvollsten Berufe, der nach vielen Jahren hartem und langwierigem Studium manchmal bis zur absoluten Erschöpfung des Arztes ausgeübt wird. Denn wer sich entscheidet, Mediziner zu werden, opfert sich und seine Freizeit oft bedingungslos für das weite Feld der Medizin auf. Ein guter, vertrauensvoller Arzt zu sein ist das Ziel – das erfordert nun mal großes Engagement und Hingabe. Und die Aufgabe einer gewissen Unabhängigkeit.

Sind diese Abhängigkeit und gleichzeitige Verantwortung die Gründe, warum Ärzte von der Gesellschaft glorifiziert werden? Dass allen bewusst ist, dass Ärzte immer helfen, wenn Patienten nicht mehr weiter wissen oder können? Dass man sie „Weiße Engel“ nennt, weil sie Wunder vollbringen, obwohl man längst nicht mehr an Wunder glaubt? Dass sie offensichtlich Dinge wissen und anwenden, die die Allgemeinheit allerhöchstens mal als Fremdwortsalat in irgendeiner TV-Reportage aufgeschnappt haben?

Ganz klar: Die Gesellschaft hat großen Respekt vor Medizinern, da sie ihnen Kräfte und Fähigkeiten zuweist, die ihr übersinnlich oder zumindest schwer begreiflich erscheinen. Denken wir da nur an die berühmten Arztserien wie Emergency Room oder Nip/Tuck, in denen Ärzte als moderne Helden in Kitteln dargestellt werden. Warum eigentlich? Romane, Fernsehserien, aber auch unsere eigenen Erfahrungen haben uns eingebläut: Ärzte haben eine unbegreifliche Kenntnis über medizinische Fachausdrücke, Mechanismen und Diagnosen und übernehmen eine große Verantwortung für den Heilungsverlauf ihrer Patienten. Das heißt also auch, dass sie hin und wieder Entscheidungen treffen müssen, die sogar über Leben und Tod entscheiden können. Manch einer (der Drehbuchautoren) würde sagen, sie spielen Gott.

So viel also zur Charakterisierung des Arztes durch die Gesellschaft und Medien. Und wie sehen sich die Ärzte selbst? Auch als Götter? Das kann uns nur jemand sagen, der es wissen muss: Ein Arzt. Jan S. (Name von der Redaktion geändert) ist ein junger Assistenzarzt an der Uniklinik Aachen und sagt: „Gott? Auf keinen Fall!“

Allerdings ist er sich eines gewissen Privilegs bewusst, besonders, was die Vorteile im Alltag angeht. „Bei Fluggesellschaften können wir uns als Ärzte outen und bekommen bessere Plätze. Ähnliches Prinzip bei der Wohnungs – und manchmal sogar bei der Partnerssuche.“ Er grinst. Doch dann wird er ernst und fügt schnell hinzu: „Aber ehrlich gesagt habe ich davon noch nie Gebrauch genommen. Ich möchte meinen Beruf nicht als Eintrittskarte nehmen – weder beim Flirt mit einer Frau noch bei dem mit der Maklerin.“ Jan ist aber auch selten in der Situation, dass er solche Tricks anwenden muss. Er lebt in einer Studenten- und Medizinerstadt, in seiner allerersten Studentenbude, mit einem Ex-Kommilitonen und jetzt Arztkollegen, geht fast nur mit Ärzten aus oder zum Sport. Unter ihnen gibt es keine Angeberei, kein Bauchpinseln, keine Lobgesänge am laufenden Band. „Aber natürlich klopfen wir uns mal auf die Schulter, wenn uns etwas gut gelungen ist. Und natürlich reden wir über Fachliches und unseren Berufsalltag. Jeder hat die private Handynummer des anderen, ist auch nach Feierabend verfügbar und manchmal sogar selbst mit den Gedanken auf der Station, weshalb er dann selbst nochmal anruft. Eine gute Vernetzung ist uns wichtig, denn wichtig ist uns auch das Wohl des Patienten, für das wir mitverantwortlich sind – auch nach Feierabend. Aber wir halten uns nicht für was Besseres. Wir sind wirklich stinknormale Menschen“.

Dass die Gesellschaft das manchmal missachtet oder vergisst, ist ihm aber bewusst. Er habe schon oft festgestellt, dass sein Beruf besonders gut ankommt, wenn er mal zufällig thematisiert wird. Negative Reaktionen sind absolut ausgeschlossen, nur mit neugierigen Fragen muss er oft rechnen. Bei seinen zu behandelnden Patienten ist das manchmal etwas anders. Dafür sei aber  ganz klar die Krankenhaus-Ärzte-Hierarchie verantwortlich, sagt er. „Je älter der Arzt, desto kompetenter, weiser und erfahrener wirkt er auf den Patienten. Selbstbewusstsein ist sehr wichtig für das Vertrauen eines Patienten zu seinem Arzt – und das sieht er aber oft erst nach einem Blick auf das Namensschild. Steht dort ‚Prof.‘ oder ‚Dr.‘, hat der Arzt schon quasi weit gewonnen. Und hat er dabei noch graues Haar, steht dem Patienten die Erleichterung ins Gesicht geschrieben und er koopereriert bereitwillig. Naja und da werden wir jungen Ärzte manchmal mit dem einen oder anderen Spruch oder sogar mit Ignoranz bestraft, einfach, weil wir noch nicht die allwissende Ausstrahlung eines Chefarztes haben.“

Das Alter des Arztes ist übrigens ein elementarer Faktor in der Erörtung der Frage nach seinem subjektiven Lebensgefühl und dem öffentlichen Ansehen. Mit steigendem Alter distanziert er sich selbst ein wenig von seiner Aufgabe als Heiler und Lebensretter, kann besser abschalten, klareren Kopf bewahren, sein privates vom beruflichen Leben trennen und wirklich mal durchatmen, wenn er die Praxis oder Klinik verlässt. Gleichzeitig steigt aber auch sein Ansehen, wie Jan ja im Klinikalltag oft genug erfuhr. Aber dass parallel dazu auch Arroganz und Ego steigen, kann er nicht bestätigen, es sei einfach nicht pauschal prognostizierbar. „Es ist eine Sache des Charakters.“ Jan unterscheidet deshalb nach 3 1/2 Arzt-Typen:

Typ A: Die Arzt-Generation der letzten Jahrzehnte. Diesem Typus geht es nicht um das große Geld oder Renommee,  sondern um das Fach und den Patienten selbst. Ihm macht der Job einfach großen Spaß, erfüllt ihn, auch bei Übermüdung und während der Nachtschicht. Typ A geht deshalb nicht mit seinem Beruf hausieren und fährt keinen Porsche. Zumindest sehr lange nicht.

Typ B: Klassischer Chefarzt-Typ der ersten Generation. Er fährt mit Polohemd im Porsche zum Golfen. Er denkt: „Wir sind Gott, wir sind allmächtig.“ Er sagt: „Ich habe meine Professur nicht in der Lotterie gewonnen, also nennen Sie bitte meinen vollständigen Titel. Und duzen? Nur über meine Entlassung.“

Typ B II ist der neue Chefarzt-Typus. Oft viel jünger als der der älteren Generation, manchmal erst Anfang 40. Er sieht sich nicht als unantastbares Alphatier, sondern als gleichwertiger Teamplayer innerhalb flacherer Personal-Strukturen. Seine Assistenzärzte begrüßen ihn deshalb mit „Hi Chef“ und sitzen mit ihm in lockerer Runde beim Mittagsessen in der Kantine. Seinen Weg zur Arbeit bestreitet er übrigens auch mal mit dem Fahrrad oder der Straßenbahn.

Typ C gehört der eher seltenen Gruppe von Hardcore-Ärzten an. Diese sind arrogant, Geld- und Luxusorientiert. Für einen besseren Posten gehen sie notfalls über Leichen und in Rente erst nach der letztmöglichen Verlängerungsperiode. Aufgeben, Schwäche zeigen oder kürzer treten kommt überhaupt nicht in Frage. Denn der Job ist das, wodurch sie sich profilieren und damit ihr Selbstbewusstsein aufpolieren. Sie leben den Beruf, nicht ihr Leben.

Und dann gibt es natürlich noch einen ganz anderen Typ Arzt, der aus der oberen Reihe und Typisierung fällt. Das ist der des niedergelassenen. Er hat seine aufregende, rasante Zeit im Krankenhaus hinter sich, braucht keine beruflichen Herausforderungen mehr sondern endlich wieder mehr Zeit, Ruhe und Entspannung. Er genießt sein Leben und das, was ihm die vielen Jahren in dem Beruf möglich gemacht haben. So weit ist Jan aber noch lange nicht. Es klingt zwar reizvoll – für die Zukunft – aber derzeit schätzt er den starken, intensiven Lern- und Leistungseffekt im Akuthaus. „So richtig austoben“ will er sich.  Er weiß aber auch schon, dass ihm die Nähe und der Austausch mit dem Patienten langfristig fehlen werden. Er wird also irgendwann eine eigene Praxis beziehen, in ein kleines Haus oder in eine Reha-Klinik gehen, um dann das zu tun, weswegen er sich vor vielen Jahren für den Beruf entschieden hat: Zuhören, da sein, helfen, heilen. Wirklich einfach nur Arzt sein. „Und so denken die meisten hier von uns. Hier geht’s keinem mehr um Ruhm, Erfolg und Geld. Die Zeiten von ‚Goldgrube Medizin‘ sind doch längst vorbei, das wissen wir alle.“

Was wir hieran sehen, ist ein klassischer Widerspruch im subjektiven Wahrnehmungsbewusstsein der Menschen. Was andere in uns sehen, ist oft das Gegenteil von dem, für was wir uns halten und wer wir sein wollen. Doch die Gefahr besteht, dass wir die Rollen adaptieren, die andere uns zuweisen. Deshalb sollten wir stets reflektieren und niemals vergessen, dass wir alle in erster Instanz Menschen sind – und uns der Beruf nicht zu besseren oder schlechteren macht. Dennoch ist eines nicht von der Hand zu weisen: Arzt zu sein ist nicht einfach nur ein Job, sondern eine Lang- und Vollzeitbeschäftigung mit vielen Nebenwirkungen.

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