Kinderarzt
Dr. med. Kinderdok weiß, wie er mit brüllenden Mark-Anthonys, Michelle-Sandras und ihren verängstigten Eltern fertig wird. Ein amüsanter Einblick in die Sprechstunde eines Kinderarztes – und eine prima Berufsvorbereitung.
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Wer das Berufsziel Kinderarzt hat oder selbst eine(r) ist, sollte sich das Buch „Babyrotz & Elternschiss“ unbedingt auf den Nachttisch legen – und vor allem nach einem anstrengenden Tag immer mal wieder einen Blick hineinwerfen. Damit er sich beruhigend vergewissern kann: Er ist nicht allein, auch ein anderer macht immer wieder die Bekanntschaft mit Säuglingen, die sich (fast) auf seine Füße übergeben und mit überängstlichen jungen Eltern, die ihr Kind möglichst lange in der Wärme des Nestes behalten wollen sowie bei jeder Vorsorgeuntersuchung gleich den Filofax zücken, um alles Mögliche mitzuschreiben.
Dr. med. Kinderdok heißt das Pseudonym des Autoren, der die Höhen und Tiefen des Geschehens in seiner Praxis in- und auswendig kennt. Er hat ihnen eigene Kapitel mit Titeln wie „Ohne die es nicht geht: Fachangestellte“, „Meine Frau hat gesagt: Väter in der Praxis“ oder „Eine ganz normale Vorsorgeuntersuchung“ gewidmet. Gleich nach dem Einstieg in die Lektüre wird klar: Normal ist gar nichts am Praxisalltag mit den kleinen Patienten- da braucht es schon gehörige Portionen Verständnis, Gelassenheit und Humor, um nicht aus der Haut zu fahren. Vor allem letzteres besitzt Dr. med. Kinderdok in reichlichem Maße – ebenso wie eine umfangreiche Bibliothek. Er schickt jedem Erlebnis, das er schildert, ein Zitat vorweg, dessen Inhalt er dann gleich wieder konterkariert.
So heißt es über dem Kapitel über verängstigte kleine Patienten, das der Autor „Was vom Tage übrig bleibt: Kinder müssen aufgeklärt werden“ nennt, zum Beispiel „Wer Kinder als Kinder sieht, sich ihnen gegenüber liebevoll verhält und damit eine gesunde Entwicklung fördert, macht auch sich selbst das Leben leichter“ (Michael Winterhoff). Daraufhin wird dann der Besuch einer Mutter mit ihrem dreijährigen Sohn geschildert: Der Kleine brüllt ständig und es stellt sich heraus, dass die Frau ihn mit der Begründung „Das kapiert der doch gar nicht“ eben nicht darüber aufklärt, dass und warum er zum Arzt gehen muss. Weshalb das Leben der Mutter und des Doktors bzw. die geplante Impfung natürlich alles andere als leicht wird.
Nun schlägt die Stunde von Dr. med. Kinderdok: „Stellen Sie sich mal vor, Ihr Mann würde Sie ins Auto packen, zu einem großen Haus fahren, das Sie nicht kennen, dort rausholen, in Räume schleifen, die Sie noch nie gesehen haben, und zu einem Menschen, den Sie noch nie gesehen haben. Dann hält Sie Ihr Mann im Schraubstockgriff und Ihnen wird … sagen wir mal… ein Zahn gezogen. Und da hätten Sie immerhin noch den Vorteil gehabt, das Arztschild an der Eingangstür lesen zu können.“ Ein Vergleich, den die Mutter schließlich versteht, und Dr. med. Kinderdok schiebt verstärkend nach: „Er ist immerhin schon drei Jahre alt. Der versteht doch auch, wenn Sie ihm heute erzählen, dass Sie morgen in den Zoo gehen oder die Oma besuchen.“
Dass der Kollege Recht hat, weiß auch der Düsseldorfer Kinderkardiologe Dr. Hermann-Josef Kahl: „Der Arzt ist für das Kind eine fremde Person, die ihm sehr nahe kommt. Da ist die Abwehrreaktion ganz normal. Säuglinge fangen an zu weinen, weil sie den Fremdkontakt als Bedrohung empfinden.“ Kinder, deren Eltern mit ihnen über den Arztbesuch gesprochen und Bilderbücher dazu angeschaut haben – wie etwa „Leo Lausemaus will nicht zum Arzt“ von Marco Campanella – haben nach Erfahrung von Hermann-Josef Kahl eine andere Einstellung. Der Kinderarzt sagt: „Sie sind vorbereitet, kennen den Ablauf und fühlen sich nicht überrumpelt. Dadurch können sie schneller beruhigt werden.“ Offenheit und Transparenz seien die richtigen Strategien in diesen Situationen, die im Idealfall das Bindungsgefühl zwischen Eltern und Kind stärken. „Mutter oder Vater müssen das Kind ihren Schutz spüren lassen. Sie sollten ihm sagen, dass sie dabei sind und ihm nichts passieren kann.“
Am geschilderten Beispiel wird deutlich: „Babyrotz & Elternschiss“ wurde von jemandem verfasst, der sein Handwerk versteht und mit seinen Kurzgeschichten mehrere Zwecke verfolgt: Natürlich sollen die Leser schmunzeln oder sogar lachen, sich aber auch ertappt fühlen, nicht zimperlich sein und etwas lernen. Seien es die Allgemeinmediziner, die nach Worten von Dr. med. Kinderdok zum Teil immer noch unterstellen, dass Kinder- und Jugendmedizin eine Fachdisziplin sei, die „nicht ganz fertig“ sei („Nun, wenn’s Spaß macht… prima. Aber dann haben Sie wohl gar nicht zu Ende studiert?“). Oder die Eltern, die den Kinderarzt oft über die allwissende Hebamme finden und kaum wissen, wie sie mit ihren erstgeborenen „Frischlingen“ umgehen sollen. Schön zu lesen: das Lob, das der Autor im Hinblick auf seine Angestellten anstimmt… „Ohne Arzthelferinnen liefe gar nichts in einer Praxis“ schreibt er und schildert, wie Moni der Mutter eines ständig kotzenden Kleinkindes eine der „formschönen Einmal-Nierenschalen“ über die Empfangstheke reicht. Noch eine Weisheit à la Dr. Kinderdok: „Das stille Gesetz der Arztpraxis: Droht ein Kind zu spucken, wird es auch spucken.“
Das Mutmachbuch für ängstliche kleine Patienten im Wartezimmer.
Rund 500 Grundschulkinder im Rheinland haben sich an einem Autorenwettbewerb der Ärztekammer Nordrhein und der AOK Rheinland/Hamburg zum Thema „Angst und Mut“ beim Arztbesuch beteiligt. Aus den Beiträgen ist ein „Mutmachbuch“ mit aufmunternden Comics, Geschichten und Bildern von Kindern für Kinder entstanden, das in den Warteräumen von rheinischen Arztpraxen und Krankenhäusern ausliegt. Der Autorenwettbewerb ging aus Präventionsprogramm „Gesund macht Schule“ für Schulkinder im Alter zwischen sechs und zehn Jahren hervor. Das Mutmachbuch kann unter www.gesundmachtschule.de gratis heruntergeladen werden.
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