Mittwoch, 14. Juni

Der Landarzt von Chaussy

Film

Interview mit Thomas Lilti

Mit seinem Film DER LANDARZT VON CHAUSSY (OT: Médecin de campagne) zeichnet der gelernte Mediziner und Regisseur Thomas Lilti ein authentisches und liebevolles Portrait eines Landarztes und seiner Patienten.

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Raquel Pedrotti | unsplash.com

DER LANDARZT VON CHAUSSY ein Film von Thomas Lilti
Mit François Cluzet, Marianne Denicourt, Isabelle Sadoyan u.a.

Dr. Jean-Pierre Werner (François Cluzet) ist seit über 30 Jahren Landarzt und in seiner Dorfgemeinschaft sehr beliebt. Für die Nöte und Sorgen seiner Patienten hat er immer ein offenes Ohr. Als er plötzlich selbst erkrankt, ist er gezwungen, eine Vertretung einzustellen. Diese kommt, schneller als ihm lieb ist, in Gestalt der attraktiven und selbstbewussten Dr. Nathalie Delezia (Marianne Denicourt). Aber Jean-Pierre, der sich für ziemlich unersetzbar hält, ist nicht bereit, sie ohne Umschweife als mögliche Nachfolgerin an seiner Seite zu akzeptieren. Und so muss sich Natalie seine Anerkennung und die der Dorfgemeinschaft erst hart erarbeiten. Doch nach und nach kommt unter der anfänglich rauen Oberfläche wahre Herzlichkeit zum Vorschein.

Mit seinem jüngsten Film DER LANDARZT VON CHAUSSY (OT: Médecin de campagne) zeichnet der gelernte Mediziner und Regisseur Thomas Lilti ein authentisches und liebevolles Portrait eines Landarztes und seiner Patienten. Zugleich erzählt er subtil und humorvoll eine zutiefst menschliche Geschichte. In den Hauptrollen des charmanten Überraschungserfolgs aus Frankreich mit über 1,5 Millionen Besuchern, glänzen „Ziemlich beste Freunde“-Star François Cluzet und die bezaubernde Marianne Denicourt.

Was hat Sie daran gereizt, nach HIPPOCRATE nun eine Geschichte über einen Landarzt zu erzählen?

Bevor ich selbst Filme drehte, war ich ja Arzt. Diese Tätigkeit hatte mich des Öfteren in ausgesprochen ländliche Gegenden geführt. Die Jahre, in denen ich als junger Assistenzarzt immer wieder Landärzte zu vertreten hatte, die praktisch über alles in ihrer Umgebung Bescheid wussten, empfand ich als ungeheuer bereichernd. Als ich dann Filmregisseur wurde, war es für mich schlichtweg das Naheliegendste, diese Erfahrungen filmisch umzusetzen. Und was die Handlung betrifft, so gibt es ja kaum eine romanhaftere Figur als die eines Landarztes.

Landärzte sind ja wahre Volkshelden, die von den Leuten verehrt werden … Leider handelt es sich aber um eine Spezies, die vom Aussterben bedroht ist.

Es wäre sehr wichtig, etwas gegen den zunehmenden Ärztemangel auf dem Land zu unternehmen und alles dafür zu tun, dass diese Ärzte nicht verschwinden. Für mich ist das ein soziales Anliegen von hoher Priorität, und daher habe ich beschlossen, es ins Zentrum des Films zu rücken. Aufgrund der Verödung ganzer Landstriche tendiert der Beruf des Landarztes ja leider tatsächlich dazu, allmählich zu verschwinden. Auch deshalb wird der Landarzt heute mehr denn je als positiver Held wahrgenommen. Er erfüllt eine sehr wichtige soziale Funktion, ist Bindeglied zwischen den Generationen und sorgt dafür, dass sich seine Patienten weniger einsam fühlen. Es lag mir sehr am Herzen, mich vor diesem Berufsstand zu verneigen, dessen Bedeutung mir schon klar wurde, als ich selbst als junger Arzt Praxisvertretungen in der Normandie oder in den Cevennen übernahm. Die damaligen Erfahrungen hatten mir überdies Gelegenheit verschafft, mit ganz außergewöhnlichen Frauen und Männern zusammenzuarbeiten.

Werden alle Filmfiguren einschließlich der Patienten von professionellen Schauspielern gespielt?

Ja, mit einer einzigen Ausnahme, nämlich dem Bauern, dem François ganz zu Beginn des Films einen Verband anlegt. Er ist der Eigentümer des Bauernhofs, in dem wir drehten. Die Szene hatten wir kurzerhand improvisiert und schließlich im Film beibehalten.

Und die Figuren, die eine geistige Behinderung haben?

In der Tat sind auch die Darsteller der jungen Leute mit geistiger Behinderung keine Berufsschauspieler. Allerdings hatte Yohann Goetzman, der junge Autist, bereits in Filmen gespielt, die er selbst gedreht hat. Und da er überdies gelegentlich auf der Bühne auftritt und in einer Band spielt, kann man sagen, dass ihm die darstellende Kunst zumindest nicht ganz fremd war.

Warum wollten Sie in Ihrem Film überhaupt Figuren mit geistiger Behinderung zeigen?

Viele Menschen mit geistiger Behinderung, darunter auch viele junge Leute, leben in ländlichen Gebieten. Und dort sind es oft Allgemeinärzte, die sich um sie kümmern, auch wenn sie nicht immer die dafür erforderliche Ausbildung haben. Hinzu kam, dass es für mich nicht vorstellbar war, mich an einen Berufsschauspieler zu wenden, um eine geistige Behinderung zu spielen – umso weniger, als Yohann ja auch Lust hatte, im Film mitzuwirken. Er hat sich mit seiner Rolle in genau derselben Weise auseinandergesetzt wie jeder andere Darsteller auch.

Im Film erscheint der Landarzt als eine Art Mädchen für alles: Er ist zugleich Pfleger, Vertrauensperson, Ratgeber …

Pfleger und Vertrauensperson in einem zu sein, das gehört in der Tat zu den Besonderheiten dieses Metiers. Hinzu kommt, dass der Landarzt einer immer seltener werdenden Spezies angehört. Die Folge davon ist eine permanente Arbeitsüberlastung, weshalb die meisten Landärzte am Rande der 5 Erschöpfung stehen – umso mehr, als sie immer seltener die Möglichkeit haben, sich ersetzen oder unterstützen zu lassen.

Jean-Pierre Werner befindet sich in einer Extremsituation: Gleich zu Beginn erfährt man, dass er krank ist – und man ahnt, dass der gesamte Rest des Films für ihn eine Art Wettlauf gegen diese Krankheit sein wird…

Die Figur eines kranken Arztes fand ich reizvoll. Sie bot mir den Schlüssel für den Zugang zu der romanhaften Dimension, nach der ich suchte. Nebenbei ermöglichte es mir die Figur eines kranken Arztes, fast beiläufig das Problem der medizinischen Versorgungwüsten zu thematisieren, ohne es allzu frontal anzusprechen. Hierbei ging es auch um das das grundlegende Problem der Nachfolge und der Weitergabe von Wissen. Der Umstand, dass er krank ist, lässt dem Landarzt ja gar keine andere Wahl, als sich von jemandem assistieren zu lassen. Man zwingt ihm eine Vertreterin förmlich auf. Und an diese Ärztin wird er nun sein ganzes Wissen weitergeben müssen …

In der ersten Zeit behandelt er sie sogar ziemlich herablassend…

Er stellt sie auf die Probe. Er ist ein Mann, der schon seit langem alleine lebt und es gar nicht lustig findet, wenn jemand anderes in seinem Revier aufkreuzt. Außerdem ist er krank, und er will nicht, dass das herauskommt. Diese Frau stellt für ihn folglich von Anfang an eine Gefahr dar. Sein herablassendes Benehmen ihr gegenüber hält jedoch nicht lange an, als ihm klar wird, dass die Frau einiges drauf hat: Er merkt, dass er sie vielleicht noch brauchen wird … Man darf natürlich auch nicht vergessen, dass Werner sehr selbstlos ist: Er gibt gerne sein Wissen weiter.

Ihr Film scheint mehrere Stilebenen in sich zu vereinen: Zum einen zeugt er von einem realistischen, fast schon naturalistischen Ansatz, zum anderen von einem geradezu dokumentarischen Blick – das Ganze verwoben mit einem Handlungsstrang wie aus einem Roman …

Ich verspürte das dringende Bedürfnis, mit ebenso kundigem wie präzisem Blick auf die Lücken in der öffentlichen Gesundheitsversorgung hinzuweisen, gleichzeitig aber auch eine Geschichte zu erzählen. Ich strebe weder Thesenfilme noch Intimdramen an, vielmehr will ich beides miteinander verknüpfen. Im Grunde erzähle ich am liebsten Geschichten von Gefühlsdramen, die sich innerhalb eines solide recherchierten und realistischen Milieus abspielen. Gerade die Konfrontation dieser beiden Elemente liefert mir das Material und die Inspiration für meine Filme.

In gleicher Weise thematisieren Sie in Ihrem Film auch Probleme wie das der Gleichheit beim Zugang zur Gesundheitsversorgung und des Rechts, zuhause sterben zu dürfen …

Ganz klar! Das Problem bezüglich des Rechts, zuhause sterben zu dürfen, wird im Film unumwunden angesprochen. Und auch die Frage, wie auf dem Land häusliche Pflege zu organisieren wäre, hängt letztlich von einer politischen Entscheidung ab …

Werner überreicht Nathalie eine Ausgabe von Michail Bulgakows „Aufzeichnungen eines jungen Arztes“, eine sicherlich sehr bewusst gewählte Referenz. Haben Sie sich für diesen Film auch von anderen Werken inspirieren lassen?

In der Tat liebe ich Bulgakows Arztgeschichten sehr. Auch John Bergers Buch „Geschichte eines Landarztes“ hat mich sehr inspiriert. Marianne Denicourt war es, die es mir zu lesen gab. Dann gab es auch noch einen Photoband, nämlich „Médecin de campagne“ von Denis Bourges, der für mich und meinen Kameramann eine wichtige Inspirationsquelle war. Im Vorwort zu diesem Band, das von Martin Winckler verfasst wurde, heißt es: „Landarzt zu sein, heißt Wurzeln zu schlagen, auch wenn man in der Stadt groß geworden ist und viel gereist ist. Man passt sich an den Rhythmus, den Zungenschlag, die Gepflogenheiten der jeweiligen Umgebung an. Man ist nicht nur Heiler von Krankheiten und Ansprechpartner für Kummer aller Art, vielmehr wird man auch Zeuge landschaftlicher Veränderungen, von Ereignissen im Dorf, von Abschied und Ankunft. Man ist Teil der Umgebung und der Gemeinschaft. Man gehört immer mehr selbst dazu.“ Auch hiervon handelt mein Film.

Was hat Sie daran gereizt, die Rolle eines Landarztes zu übernehmen? Haben Sie ein besonderes Verhältnis zur Medizin?

Ich wollte immer ein Schauspieler sein, dem es weniger ums Spiel als vielmehr ums Leben geht. Darum, Rollen auszuleben. So habe ich mich mittlerweile in zahlreiche Lebensfragmente hineinbegeben, die sich für mich aber immer wie ein ganzes Leben anfühlten. Die Vorstellung, mir zur Abwechslung einmal einbilden zu können, Arzt zu sein, war ein Traum für mich. Ich glaube, dass viele Leute diesen Beruf faszinierend finden. Letztendlich hat mich aber die Begegnung mit Thomas Lilti überzeugt. Er ist ein außergewöhnlicher Mensch und ein sehr aufmerksamer Zuhörer. Bestimmt ist er auch ein hervorragender Arzt gewesen, denn sonst wäre er kein so grandioser Regisseur geworden. Ich hegte immer große Bewunderung für Ärzte, die sich später dem Kino, der Literatur oder dem Theater zuwandten. Tschechow fällt einem da auf Anhieb ein. Es ist interessant zu beobachten, wie sich Wissenschaftler für das Künstlerische erwärmen können… Und schließlich war da ja auch noch die Figur, dieser Dr. Werner, der selbst krank ist, eigentlich mal an sich denken müsste und schleunigst das Weite suchen sollte. Aber nein, sein Pflichtgefühl und sein Ethos, als ginge es um ein heiliges Amt, sind einfach stärker. In dieser Hinsicht ist der Beruf des Arztes dem des Schauspielers durchaus verwandt: Auch bei uns spielen Berufung, Leidenschaft und Aufopferungsbereitschaft eine gewisse Rolle, und das kann fast schon zwanghafte Züge annehmen.

Sie sind die perfekte Verkörperung des Landarztes, was etwa seine Gestik, seine Bereitschaft zum Zuhören, seinen Blick und sein Verhältnis zu anderen betrifft. Wie haben Sie es geschafft, sich so tief in diese Figur hinein zu fühlen?

Die Rolle ist einfach großartig – dankbar und subtil zugleich. Ein kranker Arzt, der sich nur um die anderen kümmert! Ein echter Altruist! Diese Selbstaufopferung ist auch für unseren Beruf ganz wesentlich: Man darf die Zuschauer nämlich nie für dumm verkaufen. Folglich müssen die Emotionen erst erfühlt werden, bevor man sie zum Ausdruck bringt.

In dieser Rolle verzichten Sie auf jedes verführerische Gehabe. Als würden Sie es sich verbieten wollen, sich in Nathalie zu verlieben. Ein einsamer Wolf eben …

Dieser Arzt ist zu integer, um so etwas nötig zu haben. Und als Schauspieler misstraue auch ich der Verführung. Ich könnte versuchen, alle Welt zu verführen – ja sogar Sie, indem ich Ihnen das beste Interview verspreche! Aber das wäre nur eine Form von Kosmetik, letztlich nichts anderes als reinster Narzissmus und Egozentrik. In der Geschichte, die der Film erzählt, bin ich allein. Und ich bin krank. Als Nathalie erscheint, schleudere ich ihr entgegen: „Wer hat Sie denn geschickt? Das ist nichts für Sie, vergessen Sie es!“ Und noch besser bei ihrem ersten Fehler: „Raus! Scheren Sie sich fort!“ Als würde der Beruf mehr als alles andere zählen. Das kann man aber bei allen von Leidenschaft beseelten Menschen beobachten.

Thomas Lilti und Marianne Denicourt betonen übereinstimmend, dass Sie viel zur Teamarbeit beigetragen haben. Zum Beispiel in Gestalt von Leseproben mit allen beteiligten Darstellern, oder auch mit der Idee, jegliche Interpunktion aus dem Drehbuch zu streichen. Sind Sie immer so ein Teamplayer?

Ich komme vom Theater, wo man bestens weiß, dass das Ergebnis niemals von einem einzigen Schauspieler abhängt. Ich fühle mich nur im Team wohl und bin der Ansicht, dass man sich nur im Zusammenspiel mit anderen selbst übertreffen kann. Es geht ja nicht darum, sich in seinem eigenen Glanz zu sonnen! Schon im Theater habe ich gelernt, dass es vor allem darauf ankommt, Vertrauen zu sich selbst und zu den anderen zu entwickeln, und dass letzten Endes nicht die Arbeit des Einzelnen, sondern die des Kollektivs zählt. Man ist ja kein Deus ex machina, der durch sein bloßes Auftreten ein Bühnenstück oder einen Film plötzlich in hellerem Licht erstrahlen lässt. Vielmehr gilt die Devise: „Je besser du bist, umso besser werde auch ich sein.“ Mit Marianne Denicourt war ich mir in diesem Punkt absolut einig. Was auch immer sie beigetragen hat, stets geschah es im Interesse des Films. Und wir waren beide froh darüber, einen wirklichen Partner als Gegenüber zu haben. Nach meiner Überzeugung ist die Vorbereitungsarbeit extrem wichtig. Sobald diese erledigt ist, empfinde ich den Rest nicht mehr als Arbeit: Ich lebe dann nur noch in meiner Figur und kümmere mich ansonsten allenfalls um die Stimmung am Set und um das Wohlbefinden meiner Partner. Die Idee, auf die Interpunktion vollständig zu verzichten, stammt von Peter Brook. Es gibt ja Dutzende von Möglichkeiten, eine Replik auszusprechen, wenn man die Zeichensetzung beiseitelässt: Es ist dann eine Frage der Eingebung, für welche man sich entscheidet – im Grunde ein Spiel, bei dem man seiner Laune folgt …

Wer ist denn eigentlich dieser Dr. Werner? Was hat er für eine Geschichte? Er hat ja ein Kind und war früher wohl mal liiert …

Ja, und er ist überhaupt nicht suizidgefährdet, sondern eher ein Typ, der total in seiner Sache aufgeht – wie übrigens viele kranke Menschen. Plötzlich beschließt er, dass alles, was ihn noch interessiert, darin besteht, auf immer und ewig seinen Arztberuf auszuüben. Dieses Hinauswachsen über sich selbst – herrlich! Er liebt die Menschen in seiner Umgebung, und das ist sein Geheimnis.

Trotz aller Widerstände scheint im Verhältnis zwischen Werner und Nathalie aber doch etwas in Gang zu kommen, als der Bürgermeister diesen Unfall erleidet. Sie weiß, wie man ihn zu behandeln hat, er hingegen nicht …

Ja, und da drückt sich mehr aus als bloßer Respekt unter Berufskollegen: Indem sie ihre Kompetenz unter Beweis stellt, erscheint ihm ihre Anwesenheit mit einem Mal gerechtfertigt. Gleichzeitig wird er empfänglich für ihren Charme, für ihr Lächeln, für ihre Weiblichkeit … Und die Anstrengungen, die sie unternommen hat, um Landärztin zu werden, zeugen ja durchaus auch von Mut – unter diesem Aspekt sind sie geistig gar nicht so weit entfernt.

Dr. Werner wird nur einmal richtig wütend, und da stellt sich ein ethisches Problem ersten Ranges: Gesinnungsethik oder Verantwortungsethik, um all das geht es im Fall des alten Mannes, der bei sich zuhause sterben möchte, den Nathalie aber aus guten Gründen in ein Krankenhaus einweisen will.

Werner ist auch ein moderner Arzt, der den Wert einer sinnvollen Sterbebegleitung verstanden hat. Warum sollte er also diesen Mann von seinem Haus und von seinem Hund losreißen, zumal er ihm doch versprochen hat, ihn, für den keine Hoffnung mehr besteht, bei sich zuhause sterben zu lassen?

DER LANDARZT VON CHAUSSY ist auch ein politischer Film, der das Augenmerk auf jene französischen Landstriche lenkt, die sich zunehmend verwaist fühlen, und das Problem von Ärzten anspricht, die bereit sind, für 23 Euro die Stunde zu praktizieren …

Natürlich ist das auch ein Film mit politischem und sozialem Gehalt, in dem man einige Wahrheiten zu hören bekommt, etwa was die Trägheit der Behörden oder das Problem der medizinischen Versorgungswüsten betrifft. Wenn man in Paris oder in einer anderen großen Stadt lebt, könnte man den Eindruck haben, dass die Ärzte allesamt dem Großbürgertum angehören, am Boulevard Saint Germain ihre Praxis haben und dort 150 Euro für jede Sprechstunde kassieren. Die Wirklichkeit sieht aber ganz anders aus!

Haben Sie zur Vorbereitung auf diese Rolle Bücher gelesen oder bestimmte Filme gesehen?

Ich habe eher eine Art Innenschau betrieben. Als Kind hatte ich das Glück, an Ärzte geraten zu sein, die mich vom Asthma geheilt haben; außerdem war ich – wie viele andere auch – mit schweren Krankheiten einiger naher Verwandter konfrontiert. Bei diesen Gelegenheiten konnte ich mir aus der Nähe ein Bild davon machen, was einen guten Arzt oder eine gute Ärztin ausmacht: absolute Hingabe nämlich. Umgekehrt habe ich mich aber auch an schlechte Ärzte erinnert: Einer zum Beispiel wollte einem Freund von mir partout eine Röntgenaufnahme seiner Lunge verweigern, obwohl dieser ihn seit Monaten darum gebeten hatte. Am Ende willigte der Arzt mit der Bemerkung ein: „Ich verwette ein Bonbon darauf, dass Ihnen nichts fehlt!“ Also lässt sich mein Freund röntgen, wobei sich herausstellt, dass er einen unheilbaren Krebs hat. Daraufhin ruft er erneut den Arzt an und hinterlässt auf seinem Anrufbeantworter folgende Nachricht: „Sie haben die Wette verloren und schulden mir jetzt ein Bonbon!“ Der Humor meines Freundes, der es im Angesicht seines Todes bei dieser lakonischen Bemerkung beließ, machte mich sprachlos … Die Wahrheit ist, dass auch ich früher davon träumte, einmal Arzt zu werden. Als Schauspieler hat man allerdings mehr Möglichkeiten, alles zu erleben!

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