Dienstag, 13. Juni

Der schreibende Arzt

Patientengeschichten

Redaktion: ichbinarzt.de

Was motiviert einen Arzt ein Buch zu schreiben?
Patientengeschichten und ihre Verarbeitung sind ein wichtiger Stoff für meine Tätigkeit als Schriftsteller ...

shutterstock_1152133112.jpg

shutterstock 1152133112

Was motiviert einen Arzt ein Buch zu schreiben?

Ich bin 40 Stunden pro Woche mit Kindern und Jugendlichen zusammen, die unter chronischen oder seelischen Erkrankungen leiden. Ich beschäftige mich viel mit den Themen Trauerbegleitung und Trauerbewältigung. Und natürlich habe ich solche einschneidenden Erfahrungen auch schon selbst gemacht. Wenn ich darüber schreibe, bin ich am authentischsten. Ich bin dann in den Prozessen mit drin, was auch in meinen Schreibstil mit rein schwingt. Patientengeschichten und ihre Verarbeitung sind ein wichtiger Stoff für meine Tätigkeit als Schriftsteller – und mein Antrieb.

Dann trägt „Der farblose Mann“ autobiografische Züge?

Ich habe das Buch vorab Freunden und Mitarbeitern zu lesen gegeben. Alle fragen, ob das authentische Patientengeschichten sind. Für Menschen, die mich persönlich kennen, ist das relevant und wichtig. Ich frage dann immer etwas spöttisch, was sie denken. Sind es 99, 75 oder vielleicht nur 33 Prozent Autobiografie? Natürlich bin ich Christoph Schneider, der Protagonist des Romans. Aber das Buch ist aus einer Zukunftsperspektive geschrieben, aus einer Zeit, in der ich 63 Jahre alt sein werde. Es hat also auch etwas fiktives, in die Zukunft geschautes.

Thematisch spielt bei der Trauerbewältigung der Tod eine entscheidende Rolle. Ist das Ihr zentrales Thema?

Ich interessiere mich für den Karma-Gedanken, die Idee, dass Wiedergeburt existieren könnte. Ob das so ist, will ich mal offen lassen, aber das ist natürlich der zentrale Gedanke, der uns alle bewegt: Ist nach dem Tod alles vorbei – oder geht es weiter? Wenn man die Vorstellung weiterspinnt, kommt man auf den Kreislaufgedanken. Ich will als Beispiel die Kastanie nennen. Das ist ein schöner Baum, der blüht und Früchte trägt, die irgendwann abfallen und vermeintlich tot sind. Und im Frühjahr kommt dann auf einmal ein kleiner Keim aus dem Boden. Analog dazu könnte man auch beim Menschen so ein Kreislaufdenken annehmen. Da bin ich als Arzt in einer Sonderposition, weil viele Ärzte natürlich von einer biochemischen Perspektive ausgehen, die vereinfacht ausgedrückt besagt: Der Mensch ist Gehirn, und wenn das Gehirn ausgeschaltet ist, dann ist Schicht im Schacht. Für mich ist der Kreislaufgedanke aber der rote Faden, der sich durch meine Werke zieht. Ganz konkret findet er sich auch in meinem neuen Kurz-Roman „Der farblose Mann“.

Über den Autor

shutterstock_1152133112.jpg

Milan Meder ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche der MEDIAN Klinik in Bad Gottleuba. Unter seiner Leitung erhalten Kinder und Jugendliche, die unter chronischen oder seelischen Erkrankungen leiden, die erforderliche stationäre Rehabilitation. Dabei unterscheiden sich Tagesablauf und Therapien von denen einer „normalen“ Rehabilitationsklinik. „Sport, Spiel, Schule und Therapie“ lautet die Devise, unter der Milan Meder und sein Team die Kinder und Jugendlichen unter ihre Fittiche nehmen. Natürlich ist im Umgang mit den jungen Patienten in besonderer Weise psychologisches Gespür gefragt.

Apropos neues Buch. Sie haben Anfang der 2000er Jahre schon einmal zwei Bücher geschrieben …

Das stimmt, das waren meine ersten literarischen Versuche. Beides sind Jugendbücher bzw. Bücher für junge Erwachsene. Bei „Die Sternenprinzessin“ (2003) geht es um die 12 Sternzeichen, auch hier spielt der Kreislaufgedanke des Lebens schon eine wichtige Rolle. Bei „Die unerträgliche Leichtigkeit des Träumens“(2004) habe ich ein bisschen Milan Kundera nachgemacht. Da unsere Namen sich ähnlich sind, habe ich mich beim Titel an seinem Buch „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ orientiert.

Woher nehmen Sie die Zeit, um zu schreiben?

Ich bin verheiratet, habe eine achtjährige Tochter und einen zehnjährigen Sohn. Mit meiner Familie möchte ich möglichst viel Freizeit verbringen und gemeinsam etwas in der sächsischen Schweiz unternehmen. Als Chefarzt habe ich eine Leitungsfunktion und bin nach 40 Stunden Arbeit pro Woche nicht fertig, sondern habe Drumherum noch einiges zu tun. Also nutze ich beispielsweise Nachtschichten, in denen ich etwas weniger zu tun habe, um schriftstellerisch tätig zu werden. Letztendlich ist es aber so, dass das Schreiben mein „allerletztes“ Hobby ist. Es ist mir wichtig, aber ich habe dafür nicht besonders viel Zeit. Das ist auch der Grund, warum zwischen meinen ersten beiden Veröffentlichungen und der neuen Publikation so viele Jahre liegen. Die habe ich meiner Familie und meiner Arbeit gewidmet.

Sie planen bereits eine weitere Geschichte. Worum geht es?

Inhaltlich wird das ähnlich sein. Bei mir geht es immer um Raum und Zeit. Was ist eigentlich Raum, was ist Zeit? Wo gibt Überschneidungspunkte zwischen Raum und Zeit? Ist die Zeit linear – oder ist die Zeit auch ein Knäuel? Hier kommt der Kreislaufgedanke wieder zum Tragen. Ich habe da ein großes Vorbild: „Momo“ von Michael Ende. Er beschreibt das sehr schön mit den grauen Männern, die den Menschen die Zeit rauben. Wir erleben das heute ja auch immer wieder: Wir haben zwar mehr Zeit, können damit aber gar nicht mehr umgehen.

Wie schreiben Sie? Verfolgen Sie ein Konzept – oder fließt der Text einfach aus Ihnen heraus?

Das Schreiben ist ein kreativer, chaotischer Prozess. Da gibt es einen Kerngedanken, einen roten Faden, um den sich alles spinnt. Ich kenne jetzt schon den Anfang und das Ende meines nächsten Buches. Ich weiß, was kommen wird. Aber es ist eine Kunst, das auszuformulieren. Letztendlich spielt aber auch mein persönliches Zeitmanagement eine wichtige Rolle. Ich muss die eine oder andere Stunde finden, um weiterschreiben zu können.

Milan Meder