Mittwoch, 14. Juni

Erinnerungshilfen

Mehr und besser merken können

von Yavi Bartula

„Ich werde alt!“ – Dieser Satz ist einer der beliebtesten, wenn es darum geht, die eigene Vergesslichkeit zu rechtfertigen. Doch vergessen wirklich nur die „Alten“? Und wenn ja, wie können wir das Alter austricksten und uns Dinge besser merken?

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Rainer Sturm / pixelio.de

So unter uns und ganz ehrlich. Wer hat in Schule und Studium noch niemals einen Spickzettel benutzt? Wer braucht niemals ein Navi? Wer erinnert sich ohne Facebook an die Geburtstage aller seiner Freunde? Und wer weiß auch ohne Einkaufszettel genau, welche Produkte beim Großeinkauf in den Wagen gehören?

Eben.

Diese Beispiele widerlegen die These, dass ein schlechtes Gedächtnis ausschließlich mit dem steigenden Alter einhergeht. Natürlich lässt die Denkleistung mit der Zeit nach, doch auch junge Menschen kämpfen mit der lästigen Erinnerungsproblematik im (Berufs-) Alltag. Ärzte haben es da besonders schwer, da sie im Grunde genommen lebende Arbeitsspeicher sind und simultan mehrere Prozesse koordinieren. Behandlungen, Besprechungen, Bürokram, Blumen für die Frau. Wer das alles ohne Hilfsmittel schafft, war in seinem vergangenen Leben ein Elefant. Oder kennt bereits die Erkenntnisse der kognitiven Psychologie, die Ihnen garantiert helfen, Dinge zu behalten und bei Bedarf mühelos abzurufen.

Prioritäten setzen, Umfänge einschätzen, Routinen einführen

Wir können unser Gedächtnis zwar trainieren, aber seine Strukturen und Dispositionen nicht verändern. Jeder hat andere Kapazitäten und muss sie gut kennen, um sie effizient nutzen zu können. Schauen Sie fokussiert hin und analysieren Sie Ihr Auffassungsvermögen, im nächsten Schritt, wann Ihre „Prozessoren“ auf Hochtouren laufen. Sind Sie jemand, der morgens produktiv ist oder der lieber nachts arbeitet? Oft hilft es, sich dafür an die Studienzeit zu erinnern. Waren Sie derjenige, der lange schlief und ab dem Mittag und bis spät in die Nacht hochkonzentriert lernte? Oder saßen Sie bereits um 8 Uhr morgens in der Bibliothek, um die Bücher pünktlich zum Sonnenuntergang und zusammen mit ihren herabfallenden Lidern zuklappen zu können? Nutzen Sie das Wissen über Ihre Leistungskurven, um während des Hochs und immer zu der gleichen Tageszeit mental arbeiten und Ihr Potenzial auf diese Weise komplett auszuschöpfen zu können.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Wenn Sie wissen, wann, wo und wie viel Wissen Sie optimal speichern können, gilt es, dieses Wissen zur Speicherung von neuem anzuwenden. Dafür gibt es einen ersten einfachen Trick. Lernen und wiederholen Sie Dinge kurz bevor sie in Vergessenheit geraten. Stellen Sie sich das Ganze wie eine Kurve vor, die ab dem Moment der Wissenserlangung innerhalb weniger Stunden stetig herabfällt. Wenn Sie fast den Nullpunkt erreicht, sollten Sie einschreiten und das Neuwissen bewusst reflektieren. Reflektieren? So geht’s:

Weniger ist mehr

Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Weniger lernen, mehr wissen. Es geht nämlich tatsächlich nicht um die Quantität, sondern um Qualität. Und die ist erfüllt, wenn Sie systematisch, methodisch und gemäß Ihres Lernverhaltens agieren, anstatt den Stoff ad hoc und verkrampft in sich hineinzuprügeln. Das Zauberformel lautet übrigens einmal Wiederholen – Pause – einmal Wiederholen – Pause. Und so weiter. Mit Wissen ist es nämlich ein bisschen so, wie mit unseren Muskeln. Beide wachsen in den Ruhesequenzen. Und zwar auch, wenn Sie schlafen.

Keine Panik, Sie haben doch eine Eselsbrücke! Illustration: Stefan Bayer / pixelio.de

Visualisieren

Bestes Beispiel: Sie erinnern sich an das Gesicht Ihrer Patientin, doch der Name will Ihnen bei bestem Willen nicht einfallen? Das liegt daran, dass die meisten von uns ein fotografisches Gedächtnis haben, das Bilder besser abspeichert, als akustisch aufgegriffene Informationen. Was wir daraus lernen können: Malen und oder schreiben Sie sich Dinge auf. Ob die Tagesaufgaben auf der To-Do-Liste, die Stichpunkte während eines Vortrages oder Ihre eigenen für die kommende Rede – alles greift schneller, wenn es visualisiert wird. Denn die Verinnerlichung erfolgt nicht nur im Moment des Aufschreibens, sondern auch akut im Moment des Aufrufens – notfalls als Fotografie Ihrer eigenen Notiz.

Wiederholen

Nehmen wir an, Sie lernen eine neue Sprache, halten morgen einen Vortrag zu einem Ihnen bisher fremden Thema oder bewegen sich neuerdings in einem anderen Fachgebiet. In allen drei Fällen operieren Sie mit neuem Vokabular, dass es zu verinnerlichen gilt. Und tatsächlich bewährt sich hier die traditionelle Schul-Methode: Termini wiederholen, immer und immer wieder. So, wie der alltägliche Arbeitsweg, den wir irgendwann mit verbundenen Augen finden würden, prägen sich nach und nach auch neue Wörter ein. Je öfter wir mit Ihnen konfrontiert werden, desto schneller und beständiger verankern Sie sich in unserem Sprachschatz.

Aussprechen

Auch die Wiederholung kennt einen Trick, der die Wirksamkeit des Lernprozesses steigert: Lautes Aussprechen. Wörter, Vorgänge, Namen, Begriffe und alles andere, das sich linguistisch ausdrücken lässt, wird durch die Artikulation präsenter und greifbarer. Sie hören sich selbst, den Klang des Wortes, fühlen die Aussprache, die Form des Wortes. Diese Methode ist fast so erfolgreich wie die der Visualisierung, logischerweise am erfolgreichsten in der Kombination. Doch Vorsicht! Lesen Sie selektiv und wählen Sie bewusst einzelne Begriffen, die Ihnen am Wichtigsten erscheinen. Denn pointierte Betonung ist weitaus sinnvoller, als der Versuch, ganze Texte auswendig zu lernen.

Ich packe meinen Koffer und packe ein: Eine Eselsbrücke

Die meisten unserer Lehrer und Eltern pochten vehement darauf, Eselsbrücken zu bauen, damit wir uns endlich geschichtliche Ereignisse, populäre Namen, biologische Zusammenhänge, physikalische Prozesse und die Uhrzeit des wöchentlichen Klavierunterrichts merken konnten. Und so „banal“ verfahren auch Profis, die heute Rekorde im Behalten von Dingen aufstellen. Sie überlegen sich ganze Geschichten, Zahlenkombinationen, verwenden bekannte Codes oder Wendungen, konstruieren fiktive Beziehungen, bauen Brücken. Kurz: Sie assoziieren – eines der besten und sichersten Verfahren, wenn es darum geht, viele Fakten (chronologisch) zu speichern.

Der Anfang ist Ihr Ende

Wir empfehlen, nicht nur am Anfang Prioritäten zu setzen und streng selektiv vorzugehen, um einen hierarchisch aufgebauten Wissensfundus aufzubauen, sondern auch am Ende eines Lern- und Merkprojektes das Archiv zu filtern. Ist es besonders reich bestückt und bis oben hin befüllt, kann es gut sein, dass es schon bald gleichmäßig schrumpft. Wie vorbeugen? Relevantes hervorheben, priorisieren und immer wieder hervorrufen, periphere Details im wahrsten Sinne des Wortes vergessen. Wie viel Sie sich merken können, haben Sie im besten Fall ja schon im ersten Schritt herausgefunden, doch spätestens nach Abschluss der kompletten Phase. Die Erkenntnisse wenden Sie dann beim nächsten Mal und dann immer wieder anwenden können.

Ein Appell an das Selbstvertrauen

Zum Schluss möchten wir Ihnen raten, die Lernmethoden anderer nicht zu adaptieren. Zwar können sie Orientierungshilfen und wertvolle Impulse geben, doch bedenken Sie die individuellen Auffassungsgaben eines jeden Gehirns. Was der andere weiß, kann sie gerne beeindrucken, aber bitte nicht beeinflussen. Was der andere tut, ist seine Sache, was Sie tun, Ihre. Was der andere kann, werden Sie vielleicht (noch lange) nicht können und er auch nicht das, womit Sie glänzen. Und das ist auch gut so! Sofern Sie Ihren persönlichen Erfolgsweg gefunden haben und sich treu bleiben. Dann bleiben es die Gehirnzellen nämlich auch – bis ins höchste Alter.

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Mehr lernen, mehr wissen

Autor und Wissenschaftler H. James Wilson empfiehlt Auto-Analytic-Tools, die helfen, die eigene Gedächtniskurve zu bestimmen. Die „Spaced Repition Software“ basiert ebenfalls auf der Idee, dass stupides Ad-Hoc-Pauken ineffizient ist und zu Misserfolg führt. Das Programm kann man online downloaden und die individuelle Denkleistung auswerten lassen. Nachdem es die Kurve Ihrer persönlichen Vergessensspanne herausgefunden hat, wird es Sie im richtigen Augenblick alarmieren und Ihnen so den besten Lern-Zeitpunkt nennen.

Komplexes Wissen rund um das Thema Wissen und Merken: Die ABC-Liste von Vera Birkenbihl und das kostenlose E-Book von Heike Thormann.