Dienstag, 13. Juni

Flirt mit Patienten

Wo sind die Grenzen

von Yavi Bartula

Überall, wo Menschen einander begegnen, kann erotische Spannung aufkommen – auch in einer Arztpraxis. Doch der Flirt mit dem Patienten ist ein heikles Terrain; dem Arzt können schwer wiegende Konsequenzen drohen. Daher sollten verliebte Mediziner die Risiken im Blick behalten.

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Phix Nguyen | unsplash.com

Ein tiefer Blick, ein schüchternes Lächeln –und schon ist es geschehen. Das Herz beginnt etwas schneller zu klopfen, die Knie werden weich, im Magen drehen Schmetterlinge Pirouetten. Studien zufolge entscheidet sich bei einer Begegnung zweier Menschen innerhalb von Sekunden, ob der Funke überspringt. Doch wenn sich der Flirt in einer Arztpraxis abspielt, ist Vorsicht angebracht. Das, was Stoff für zahllose Groschenromane liefert, ist in der Realität eine ziemlich heikle Angelegenheit.

Zunächst muss Eines klar sein: Sex zwischen Arzt und Patient ist tabu. In den Berufsordnungen einiger Landesärztekammern steht ausdrücklich, dass ein Arzt im Umgang mit seinen Patienten keine „sexuellen Kontakte aufnehmen oder dulden darf.“ Dass es hier nicht um ein Kavaliersdelikt geht, macht außerdem ein Blick ins Strafgesetzbuch deutlich: Nach Paragraf 174c Absatz 1 kann sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Als Missbrauch gilt zum Beispiel, wenn Arzt oder Ärztin ihre Macht einsetzen, um Patienten sexuell gefügig zu machen.

Solche extremen, strafrechtlich relevanten Fälle kommen zwar eher selten vor. Doch was ist, wenn sich zwischen Arzt und Patient romantische Regungen einstellen? Die Gesetze legen keine konkreten Verhaltensregeln fest. Aus juristischer Sicht spricht nichts gegen private Treffen, sagt Katja Held, Fachanwältin für Medizinrecht in der Hamburger Kanzlei Vorberg&Partner. Einen Kaffee nach Praxisschluss oder ein Glas Wein am Abend, hält die Juristin für unbedenklich – solange es nicht zu sexuellen Kontakten kommt. „Sonst würde man die persönliche Entfaltungsfreiheit der Mediziner zu stark einschränken“, sagt sie. „Jeder Arzt darf ja zum Beispiel auch seinen Ehepartner behandeln.“

Allerdings müsse jeder Arzt für sich einschätzen, ob er in der Lage ist, das Patientenverhältnis auch weiterhin objektiv zu bewerten. „Ganz klar ist, dass der private Kontakt und die ärztliche Berufsausübung eindeutig voneinander getrennt sein müssen“, erklärt Katja Held. Das bedeutet: Laborwerte und Untersuchungsbefunde müssen in der Praxis besprochen werden – nicht über einer Flasche Valpolicella. Wenn der Arzt zweifelt, ob er das Berufliche und das Private tatsächlich so sauber auseinander halten kann, ist es besser, der Patient sucht sich einen anderen Mediziner.

Auch die Frage, wie heftig geflirtet werden darf, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Ist ein Augenzwinkern in Ordnung? Ein charmanter Scherz? Ein Kompliment? Hier müssen Ärzte sehr achtsam sein. Denn was als übergriffig empfunden wird, hängt vom Patienten und der Situation ab, und auch davon, in welchem Bereich der Mediziner arbeitet, sagt die Juristin: „Ein Gynäkologe muss sicher einem höheren Anspruch gerecht werden als ein Hals-Nasen-Ohrenarzt.“

Generell aber rät die Katja Held Medizinern zur Gelassenheit. In ihrer Kanzlei hat sie es nur selten mit Fällen zu tun, wo sich Ärzte wegen eines Flirts oder einer Affäre rechtfertigen müssen, sagt sie: „Das ist eher die Ausnahme.“ Nichts desto trotz sollte dem Arzt bewusst sein, dass er ein gewisses Risiko eingeht: Angenommen, er beendet das Verhältnis und der Patient rächt sich für seine verletzten Gefühle mit einer Anzeige. Auch, wenn die Vorwürfe sich nicht erhärten lassen – die Staatsanwaltschaft muss Ermittlungen aufnehmen. Trotz eines späteren Freispruchs drohen Rufschädigung und öffentliche Bloßstellung. Hat sich der Mediziner tatsächlich etwas zuschulden kommen lassen, muss er mit schwerwiegenden Konsequenzen rechnen, zu denen der Entzug seiner Approbation, Haftstrafen und eine zivilrechtliche Klage auf Schmerzensgeld zählen.

Die juristischen Rahmenbedingungen sind eine Sache, eine ganz andere ist das Berufsethos. Denn auch ein harmloser Flirt kann das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient erschüttern. Bernhard Mäulen, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter des Instituts für Ärztegesundheit, warnt vor dem großen Machtgefälle zwischen beiden Seiten, das dem Patienten automatisch zum schwächeren Partner macht: „Der Arzt/die Ärztin ist zunächst in einer überlegenen Position, weiß viel mehr über den/die Patienten/-in als umgekehrt“, schreibt der Fachmann.

Damit birgt eine erotische Spannung auch das Risiko von Verunsicherung: Muss der Arzt mich so lange anfassen? Ist eine Berührung an dieser Stelle medizinisch wirklich nötig ?Es sind Fragen, bei denen die meisten Mediziner keinen Raum für Zweifel lassen möchten. Bernhard Mäulen rät verliebten Ärzten daher, den Patientensofort abzugeben, um Grenzverletzungen auszuschließen.

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