Selbsterkenntnis und Ignoranz
Wer als Mediziner merkt, dass die eigene Belastbarkeit sinkt, sollte dieses als Alarmzeichen ernst nehmen. Werden Symptome von Überforderung lange unterdrückt, droht Krankheit.
shutterstock_1421172506.jpg
Wer als Mediziner merkt, dass die eigene Belastbarkeit sinkt, sollte dieses als Alarmzeichen ernst nehmen. Werden Symptome von Überforderung lange unterdrückt, droht Krankheit. Selbsthilfegruppen sind eine Möglichkeit, wieder in die innere Balance zu kommenImmer ein offenes Ohr für Patienten haben, in jeder Situation die Ruhe bewahren und aufmerksam sein, auch unter hohem Zeitdruck die richtigen Entscheidungen fällen – das sind einige der Anforderungen, die Ärztinnen und Ärzte an sich stellen. Dies baut Druck auf, der auf Dauer krank machen kann. Oder der verdrängt wird – zum Beispiel mit Alkohol oder Medikamenten.
Laut einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Qualitätsmessung und Evaluation (IQME), Landau, im Februar 2013 mit insgesamt 3309 Krankenhausärzten erklärten fast drei Viertel der Befragten, dass sie sich durch die Gestaltung der Arbeitszeiten in ihrer Gesundheit beeinträchtigt fühlten. Details zu dieser im Auftrag des Marburger Bundes erfolgten Befragung unter https://www.marburger-bund.de/node/4480.
Untersuchungen belegen, dass Ärzte in besonderem Maße von Suchtkrankheiten und auch Suizid bedroht sind. Laut einer Erhebung aus dem Jahr 1989 (Enzer und Kleiber) sind Ärzte 2,7 mal so häufig von Alkohol-Erkrankungen betroffen wie Männer mit vergleichbarem sozialem Status. Der verstärkte Griff zu Medikamenten wird in verschiedenen Untersuchungen belegt. Interessierte finden nähere Hinweise auf der Website www.aerztegesundheit.de.
Kathrin Duve von Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik, berät und vermittelt Kontakte zu Selbsthilfegruppen.
Für junge Ärzte lohnt es sich, die individuellen Symptome von Überlastung frühzeitig zu erkennen. Vielleicht lässt die Freundlichkeit gegenüber Kollegen oder auch Patienten nach, früher mit Freude übernommene Aufgaben verursachen wachsende Abneigung oder man hat einfach keine Lust mehr auf nichts.
Auch ein Mediziner ist ein Mensch, der nicht immer nur für andere da sein kann. Aber darf ein Arzt selbst Patient werden? Vielen Ärzten verbietet das eigene Selbstverständnis, andere um Hilfe zu bitten oder Krankheiten einzugestehen.
Kathrin Duve vermittelt in der Dr. Becker Rhein-Sieg-Klinik im oberbergischen Nümbrecht Patienten Selbsthilfegruppen. „Selbsthilfegruppen erfüllen eine wichtige Aufgabe. Auch für Ärzte zum Beispiel mit einem Alkoholproblem“, erklärt die Diplom-Sportwissenschaftlerin und Sporttherapeutin. „Die Gruppen unterstützen Menschen, an ihren Themen und an Gelerntem dran zu bleiben. Gespräche mit anderen Betroffenen verstärken die Motivation, immer wieder den inneren Schweinehund zu überwinden, neuen Grundsätzen treu zu bleiben und sie machen Mut.“
www.nakos.de listet bundesweite Anlaufstellen auf. Regionale Kontakte finden sich zum Beispiel für NRW unter www.selbsthilfenetz.de oder für Berlin unter www.sucht-selbsthilfegruppen.de.
„Selbsthilfegruppen bieten auf Dauer verlässliche Kontakte. Das ist besonders für chronisch Kranke wichtig, die nach einem zeitlich begrenzten Reha-Aufenthalt Unterstützung suchen. Die Gruppen arbeiten in vielen Fällen sehr professionell und praxisnah“, so Kathrin Duve. „Kann ich als Patient einen Lungenkompressor mit ins Flugzeug nehmen? Ein Arzt beschäftigt sich in der Regel mit solchen Fragen nicht. Eine Selbsthilfegruppe schon.“
Eine gesunde Balance zwischen beruflichem Engagement und Freizeit ist wichtig. „In den Kliniken der Dr. Becker-Gruppe wird sehr darauf geachtet, dass neben dem Job das Privatleben nicht zu kurz kommt. Ärztinnen mit Kindern können zum Beispiel in Teilzeit arbeiten. Sie sind so beruflich aktiv und gleichzeitig für die Familie da“, informiert Kathrin Duve.
Sport tut einfach gut – seelisch und körperlich. In ihrer Funktion als Sporttherapeutin sieht Kathrin Duve manchen Arzt der Klinik, der sich einer Rehasport-Gruppe anschließt und an Geräten trainiert oder seine Kondition verbessert.
Als Therapeutin für konzentrative Bewegungstherapie (KBT) betont Kathrin Duve: „Wenn jemand gut für sich selbst sorgen möchte, braucht er eine bewusste Wahrnehmung seiner selbst. Wer körperliche oder auch mentale Verspannungen frühzeitig wahrnimmt, kann gegensteuern und Störquellen ausschalten.“ Die konzentrative Bewegungstherapie erklärt die Therapeutin so: „Die Therapie geht davon aus, dass sich in unseren Bewegungen Erfahrungen ausdrücken und dass wir andererseits unsere Psyche durch unsere Bewegungen aktiv und positiv beeinflussen können. In meinen Gruppen schule ich Patienten, sich selbst besser kennen zu lernen.“
Umfangreiche Informationen zum Thema Ärztegesundheit bietet die gleichnamige Website www.aerztegesundheit.de. Ein Selbsttest, Buch- und Filmtipps, Publikationen finden sich dort genauso wie Berichte von Betroffenen.
Selbsthilfegruppe | Arbeitszeit kontrollieren | Überlastung im Beruf | Resilienz | Wohnen und Arbeiten im Grünen | Burnout | Mediziner im Dauerstress