Notarztwagen
Der erste Einsatz mit dem Notarztwagen ist spannend und aufregend, aber auch ein wenig furchteinflößend. Man weiß vorher nie, was auf einen zukommt. Können wir allen helfen? Werden schwere Unfälle dabei sein? Werde ich Menschen sterben sehen?
Jan Plückelmann
Und wie kann ich dann damit umgehen? Das sind alles Fragen, die einem durch den Kopf gehen, bevor man das erste Mal zum Einsatz gerufen wird. Als ich das erste Mal mit meinem Chef im Notarzteinsatzfahrzeug (kurz NEF) mitgefahren bin, gingen mir genau diese Fragen durch den Kopf. Ich wusste nicht genau, was auf mich zukommt und ob ich alles richtig machen würde.
Der Dienst begann um 6 Uhr. Als ich auf der Wache ankam, wurde ich freundlich vom Rettungsdienst begrüßt. Mir wurde alles gezeigt und ich bekam noch Kleidung, damit ich auch als Teil des Rettungsteams erkannt werde. Ich war gerade fertig angezogen, da ging auch schon der Alarm los. Mein erster Einsatz. Eine Frau mit Luftnot ruft um Hilfe.
Keine fünf Minuten später sind wir schon vor Ort. Uns öffnet eine ältere Dame im Nachthemd und mit einer Sauerstoff-Nasenbrille im Gesicht. Quer durch die Wohnung liegt ein Sauerstoffschlauch. Seit heute Morgen bekommt sie schlecht Luft. In der Küche steht eine ganze Batterie an Sprays, die sie im Falle einer Atemnot nehmen kann. „Haben sie schon eines dieser Sprays genommen?“ fragt mein Chef. „Nein, ich hab mich nicht getraut und dachte, es ist besser, wenn mich mal ein Arzt abhört.“ Antwortet die Dame. Fragend schaue ich einen Rettungsassistenten an. Dieser schüttelt nur den Kopf. Mein Chef spritzt ihr ein Mittel, damit sie besser Luft bekommt. Nach kurzer Zeit wirkt es. Wir packen zusammen und gehen wieder. Als wir draußen sind, erzählt mir mein Chef, dass ca. 80% aller Einsätze so ablaufen.
Wir sind kaum zurück in der Wache, geht der Alarm wieder los. „Bewusstlose Person“ steht auf dem Pieper. Diesmal ist der Anfahrtsweg etwas länger. Aber es war faszinierend, wie schnell wir das Ziel erreichten. Wir fuhren überall an den Staus vorbei, bei Rot über die Ampel und alle machten uns Platz. Noch nie war ich so schnell am anderen Ende der Stadt.
Als wir ankommen, steht schon der RTW vor der Tür. Wir eilen die Treppen hoch und eine junge Frau öffnet uns die Tür und führt uns ins Schlafzimmer. Auf dem Boden liegt ein alter Mann. Das Rettungsteam des RTWs hat schon mit den Reanimationsmaßnahmen begonnen. Noch nie hatte ich eine Reanimation live gesehen. Bevor ich mir der Situation komplett bewusst wurde, sagte mein Chef plötzlich „Die Kollegin würde mal das Drücken übernehmen.“. Ein Rettungssanitäter nahm mir meine Jacke ab und ohne großartig zu überlegen, legte ich einfach los. Ich war erschrocken, wie einfach man einen menschlichen Brustkorb eindrücken kann und wie viel Gefühl man dafür braucht. Alle um mich herum kümmerten sich ebenfalls um den Mann. Ein Assistent beatmete den Patienten, ein anderer zog Adrenalin in einer Spritze auf und der Arzt legte eine Flexüle und intubierte den Patienten. Obwohl die Situation höchst dramatisch war, strahlten alle Mitglieder des Rettungsteams eine Ruhe aus, die mir viel Sicherheit und Selbstvertrauen gab.
Ich unterbrach kurz die Herzdruckmassage, damit wir eine Frequenzanalyse machen konnten – Nulllinie. Der Patient konnte also nicht defibrilliert werden. Ein Assistent spritzte auf Anweisung meines Chefs Adrenalin und ich begann wieder mit dem Drücken. Nach einer halben Stunde ohne Erfolg gaben wir schließlich die Reanimation auf.
Ich kann gar nicht beschreiben, was mir in diesem Moment durch den Kopf ging. Auch wenn der Mann alt war, war es für mich nicht leicht, einfach aufzuhören. Aber die Situation war einfach aussichtslos. Dazu kam, dass die Tochter des Mannes die ganze Zeit im Hintergrund stand und zusah. Wie kann man in dieser Situation am besten mit ihr umgehen und ihr Trost spenden? Sie war ganz erstarrt und durch den Schock nicht einmal in der Lage zu weinen. Mein Chef ging zu ihr und drückte ihr sein Beileid aus. Dann führte er sie ins Wohnzimmer, um ihr das weitere Vorgehen zu erklären und den Totenschein auszufüllen. Ich war völlig durcheinander. Die Knie waren weich und der Kopf versuchte, das eben erlebte zu verarbeiten.
Im Anschluss an das Gespräch mit der Tochter führten wir noch die Leichenschau durch und dann gingen wir. Als wir draußen waren, klopfte mir mein Chef auf die Schulter und sagte mir, dass ich das super gemacht hätte. Ich fragte ihn, wie man am besten als Arzt damit klar kommt. Er meinte, dass es einfach Zeit braucht. Zum einen, um sich an solche Situationen zu gewöhnen und zum anderen, um zu lernen, das Erlebte nicht zu nah an sich heranzulassen oder gar mit nach Hause zu nehmen. Jeder entwickelt dabei seine ganz eigene Strategie, um das zu schaffen.
Mir bleibt nicht viel Zeit, um über die eben erlebte Situation nachzudenken, da geht der Alarm erneut los. Wieder steht auf dem Display „bewusstlose Person“. Mein Puls schnellt in die Höhe. Diesmal finden wir eine ältere Dame, die bewusstlos auf dem Küchenboden liegt. Aber sie atmet. Wir legen einen Zugang und bringen sie mit der Rettungsdecke zum Rettungswagen. Dort drängt sich uns die Diagnose fast auf. Herdblick nach links – Verdacht auf Schlaganfall. Ihr Mann sucht ganz aufgeregt ihre Unterlagen zusammen. Er weiß gar nicht recht, was er zuerst machen soll und ist ganz aufgeregt. Wir versuchen, ihn zu beruhigen und erklären ihm, in welches Krankenhaus wir seine Frau bringen. Nachdem wir die ersten Maßnahmen eingeleitet haben, fahren wir auch schon los und sind keine zehn Minuten später in der Notaufnahme.
Als ich nach 12 Stunden Dienst abends nach Hause gehe, habe ich noch viele weitere Einsätze erlebt. Die meisten waren leichtere Fälle, andere wiederum dramatisch. Ich habe an diesem Tag sehr viel gesehen und gelernt. Und auch wenn es zum Teil sehr traurige Einsätze waren, so hat mir die Arbeit an sich viel Spaß gemacht. Man kann nicht immer allen Menschen helfen und alle retten, aber wenn man es schafft, ist es ein tolles Gefühl. Ein Gefühl, das mir sagt, dass ich mich für den richtigen Beruf entschieden habe.
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