Dienstag, 13. Juni

Naturheilverfahren

Gespräch mit Dr. Christiane Ihlow

von Hannah Hilgers

Dr. Christiane Ihlow ist Chefärztin im Bereich Psychosomatik an der Dr. Becker Klinik Möhnesee und behandelt ihre Patienten nicht nur mit Hilfe klassischer Arznei. Wir haben mit ihr über Naturheilverfahren und den erfolgreichen Einsatz in der Therapie gesprochen.

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Dr. Christiane Ihlow, Dr. Becker Klinik Möhnesee

ichbinarzt: Frau Dr. Ihlow, einer der therapeutischen Schwerpunkte in Ihrer Klinik sind Naturheilverfahren. Wie sind Sie dazu gekommen, was genau hat Sie fasziniert?

Dr. Ihlow: Während meiner allerersten Famulatur im Studium war ich in einer Praxis von Familienärzten beschäftigt, die versucht haben, Kinder und stillende Mütter fast ausschließlich mit Naturheilmitteln zu behandeln. Das war ausgerechnet zu einer Zeit, in der ich selbst ein Baby hatte und so war ich schnell begeistert von diesen neuen Erkenntnissen. Eben auch, weil das etwas war, was ich bis dahin im Studium nicht gelernt hatte.

ichbinarzt: Wann hat sich daraus eine Leidenschaft entwickelt und seit wann wenden Sie dies in Ihrer Arbeit an?

Dr. Ihlow: Die Leidenschaft hat sich wohl genau in dieser Zeit entwickelt, in der ich in besagter Praxis gelernt habe. Außerdem habe ich dann im Studium auch an Kursen vieler naturheilkundlich tätiger Ärzte teilgenommen. Diese Seminare waren für mich immer sehr beeindruckend. Viele ältere Kollegen versuchten dort ihr Wissen und vor allem auch ihre Erfahrung an die wenigen anwesenden jungen Kollegen weiterzugeben. Dort habe ich natürlich viele Dinge gehört, die ich noch nicht sofort umsetzen konnte, weil ich zu dieser Zeit noch keine Patienten behandelt habe. Aber Vieles lese ich heute noch in den Unterlagen von damals nach, das habe ich alles aufgehoben!

ichbinarzt: Wie bringen Sie heute Ihr anderes medizinisches Hobby, das Thema Nahrungsergänzungen, in Ihre tägliche Arbeit ein?

Dr. Ihlow: Als ich meine erste Stelle in einer Praxis mit HIV-Schwerpunkt hatte, hat es mich fasziniert, wie Patienten von einer kombinierten Gabe von Vitaminen und Spurenelementen bei chronischen Krankheitsverläufen wie zum Beispiel dem chronischen Müdigkeitssyndrom gut profitiert haben. Das Wissen und die Überzeugung, die man an einer solchen Stelle einmal erworben hat, verlassen einen nicht mehr. Als ich dann später noch eine fachpsychiatrische Ausbildung gemacht habe, habe ich gemerkt, dass die Dinge oft inhaltlich zusammenhängen. Ein Patient, der in seiner Depression eine ausgeprägte Erschöpfung hat, hat auch häufig entsprechende Probleme mit dem Immunsystem und genau da setzen wir auch hier in der Therapie mit Empfehlungen für Nahrungsergänzungen an. Hier werden dem Körper und dem Immunsystem optimale Nährböden bereitet, damit es wieder besser funktionieren kann.

ichbinarzt: Stoßen Sie dabei auch auf Probleme? Dürfen Sie zum Beispiel diese natürlichen Lösungen all Ihren Patienten vorschlagen oder muss dies vorher individuell abgestimmt werden?

Dr. Ihlow: Das ist immer individuell vorzuschlagen, wobei wir aber häufig den Patienten derartige Empfehlungen geben. Uns ist es wichtig, damit auch das Präventionsbewusstsein bei den Patienten anzuregen. Als ich im Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, einem anthroposophischen und somit auch naturheilkundlich orientierten Krankenhaus, tätig war, habe ich wunderbar sehen können, wie sich eine gut praktizierte Schulmedizin mit den alternativen Methoden verträgt. Dort gab es einen konservativen und einen alternativen Bereich im Medizinschrank. Bediente man sich aus beiden, war das besonders gut für den Patienten.

ichbinarzt: Wie nehmen die Patienten Ihre alternativen Lösungen an? Wie sind die Reaktionen?

Dr. Ihlow: Ein Beispiel aus der klinischen Praxis: Alle unsere Schwestern aus der Psychosomatik und der Kardiologie haben Ohrakupunktur und eine spezielle Akupunkturform zur Schlafförderung erlernt, um die Patienten z. B. beim Nicht-Rauchen oder bei Schlafstörungen zu unterstützen. Wir mussten sehr schnell dazu übergehen, alle Teams zu schulen, weil die Nachfrage bei den Patienten rasant anstieg.

ichbinarzt: Finden sich Naturheilverfahren auch in Ihrem privaten Leben wieder? Wenn ja, wie?

Dr. Ihlow: Ich habe zuhause einen großen Kräutergarten, aus dem ich mich regelmäßig bediene. In stressigen beruflichen Phasen versuche ich mich außerdem auch mit Multivitaminpräparaten oder Kombinationspräparaten aus Vitaminen, Spurenelementen und Eiweißen selbst zu helfen. Meine Kinder behandele ich auch – wann immer es sich rechtfertigt – mit naturheilkundlichen Ansätzen.

ichbinarzt:Gibt es aus Ihrer Sicht Kontroversen zu diesem Thema? Räumen Sie vielleicht selbst etwaige Schattenseiten oder Unfertigkeiten dieser Therapien ein?

Dr. Ihlow: Wir gehen immer davon aus, dass es sich bei unseren Gegenüber um mündige Patienten handelt. Sie werden zum Beispiel in Sachen Akupunktur genauestens aufgeklärt. Es ist aber tatsächlich so, dass das naturheilkundliche Angebot an manchen Stellen immer breiter wird und für viele ist kein wissenschaftlicher Beweis für eine Wirksamkeit geführt worden. Es gibt aber doch sehr klassische und sehr bewährte Verfahren, die man aus der Erfahrungsheilkunde heraus bedenkenlos empfehlen kann. Nach und nach etabliert sich das auch bei den Krankenkassen, wie zum Beispiel die Akupunktur und die anthroposophische Medizin im Bereich der Onkologie.

ichbinarzt:Angenommen Sie würden sich für ein neues thematisches Feld interessieren, wie würden Sie vorgehen, um es in Ihre Arbeit zu integrieren?

Dr. Ihlow: Zuletzt ist dies bei uns ja mit der Akupunktur geschehen. Zu den unterschiedlichen Bereichen gibt es anerkannte Fortbildungsinstitute, durch die man sich ein entsprechendes Basiswissen aneignen kann. Wirkliche Erfahrung sammelt man dann durch die eigene Berufspraxis, das kommt im Laufe der Jahre.

ichbinarzt:Arbeiten Sie in der Dr. Becker Klinik Möhneseebereits mit Kollegen, die ähnlich vorgehen oder die vielleicht ganz andere Methoden anwenden?

Dr. Ihlow: In unserem Ärzteteam arbeiten Kollegen, die ebenfalls naturheilkundlich vorgebildet sind und die ebenfalls Akupunktur und andere naturheilkundliche Medikamente zur Anwendung bringen. Eine Ärztin arbeitet kinesiologisch, mit großem Erfolg! Für mich als Chefin ist es wichtig, dass jeder das zur Anwendung bringen darf, was er gut beherrscht und letztlich geht’s auch darum, dass die Kollegen das Gefühl haben sollen, sich dem Patienten ganzheitlich nähern zu dürfen. Auch ich kann ja im Gespräch mit dem Patienten alternative Lösungen vorschlagen und fände es sehr schade, wenn ich angesichts meines beruflichen Werdegangs darauf verzichten müsste.

ichbinarzt:Glauben Sie denn, dassalle Ärzte die Chance haben, derartige Leidenschaften in ihrem Beruf auszuleben oder sind Sie ein glücklicher Einzelfall?

Dr. Ihlow: Also ich wünsche mir natürlich, dass ich kein glücklicher Einzelfall bin, aber um Leidenschaften auszuleben, muss man die auch erst mal kennen und sich derer bewusst sein. In einem anstrengenden Berufsfeld wie dem unseren zu bestehen, dafür braucht es das, was man auch eigene Psychohygiene nennt. Wenn ich mich im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit mit Dingen beschäftigen darf, auf die ich selbst auch Lust habe, habe ich an der Stelle einen großen Schutzfaktor gegenüber Burnout. Das ist eben auch das, was ich mir für mich und meine Kollegen wünsche. Durch meine Arbeit mit anderen Kollegen habe ich da an Zuversicht gewonnen.

ichbinarzt:Suchen Sie Kollegen, die ähnlich arbeiten, eine ähnliche oder sogar die gleiche Leidenschaft teilen?

Dr. Ihlow: Gerne suchen wir Kollegen, die auch leidenschaftlich das vertreten, was sie gelernt haben. Das muss nicht unbedingt das gleiche sein, was sich schon in unserem Portfolio befindet, da können auch gerne Alternativen zum Tragen kommen. Im Moment ist es so, dass hier schon sehr viele Dinge möglich gemacht werden, weil die Patienten den ganzheitlichen Ansatz eben auch voll mitgehen und unterstützen. Deswegen dürfen aber die anderen Abläufe der Klinik nicht leiden.

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