Mittwoch, 14. Juni

Warum Arzt werden?

55 Gründe

von Yavi Bartula

Der 52jährige Kinderarzt, Gesundheitswissenschaftler und Health Manager Dr. Markus Müschenich hat ein Buch geschrieben, das Abiturienten vom Medizinstudium überzeugen und zweifelnde Ärzte erneut motivieren soll. Anhand von 55 Gründen zeigt er auf, was den Beruf spannend und liebenswert macht. Und wir sagen Ihnen in unserer Rezension, ob es sein Buch auch ist.

national-cancer-institute-c6rgP7K5rXc-unsplash.jpg

National-Cancer-Institute | unsplash.com

„Ich bin Arzt und liebe meinen Beruf“ lautet der erste Satz im aktuellen Buch von Markus Müschenich. Natürlich tut er das, in irgendeiner Weise, sonst hätte er sich wohl kaum hingesetzt und eine 236 Seiten lange Liebeserklärung an den Job geschrieben. So überflüssig und banal der Satz eigentlich ist, so notwendig war er ihm wohl für die Erklärung seines Vorhabens. Und er hat noch einige mehr. Der gesamte, zehnseitige Prolog mit dem bescheidenen Titel „Die Wiedergeburt eines Traumberufs“ liest sich wie eine autobiographisch gestützte Rechtfertigung:Warum darf ich, Markus Müschenich, anderen sagen, was das Arztsein so phantastisch macht? Er spricht darin sehr persönlich von der tiefen Hingabe, von aufregenden Erfahrungen, seinen Charaktereigenschaften, Erfolgen. Aber auch von dem schlechten Ruf des Berufes, den er wieder ins rechte Licht rücken und aufpolieren möchte. Wie? Mit einer Kumulation der allerbesten Vorzüge, Prägungen und Attribute, die den Beruf seiner Meinung nach ausmachen. Grob gesehen wären es die Interdisziplinarität durch fächerübegreifende Wirkungsbereiche, der Facettenreichtum des Arzt-Alltages, die außerordentlich wichtige Rolle in der Gesellschaft und ihre Zukunft.

Doch das sind nicht die einzigen Gründe, weswegen sich Müschenich für den Beruf stark macht. Einige Beispiele: „1…weil Ärzte jeden Tag Leben retten, „8…weil Ärzte Präsidenten werden können, „11… weil Ärzte auf Partys nie lange alleine bleiben“, „54… weil Ärzte Science-Fiction-Helden sind“. Ferner spricht er von den schönsten Kreuzfahrtschiffen, den vielen Flirts, den besten Partnerschaften, die dem „Traumpartner, „Topathleten“ und „sicher bezahltem“ Universal-Talent widerfahren. Die Kapitelüberschriften klingen überheblich, glorifizieren den Arztberuf in überspitzter Form, lassen ihn beinah sureal erscheinen. Doch glücklicherweise relativiert der Autor Superlative, schöne Adjektive und vielversprechende Substantive in den Titeln mit erklärenden, teilweise kritischen Aspekten in den Kurztexten, die den Beruf wieder ein kleines bisschen greifbarer machen. Doch das reicht nicht, um aus dem Buch einen ernstzunehmenden Ratgeber zu machen. Während Müschenich einen stark ausgeprägten zynischen Humor, zeitgemäßen Coolnessfaktor und wirtschaftlich orientierten Charakter hat, ist bei ihm das soziale, selbstlose Helfersyndrom offensichtlich ein wenig verkürzt. Der Fokus liegt auf Entertainment, sodass ihm mit unterhaltsamen Beispielen, lustigen Ideen, dem grenzenlosen Optimismus und einer flotten Sprache ein amüsantes Buch gelingt, das seriöse Literaturkritiker aber als „leichte Kost“ bezeichnen würden. Geschrieben von einem Geschäftsmann, keinem Arzt mit Leib und Seele.

Am Ende bleiben zudem einige offene Fragen, die schon der erste Satz im Vorwort aufwirft und im Leseverlauf immer wieder aufpoppt. Wenn Herr Dr. Müschenich das Arztsein so sehr liebt, empfiehlt und lobt, warum haben nahezu alle der 55 Punkte kaum noch etwas mit der ursprünglichen Arztfunktion zu tun? „Für mich gibt es keinen schöneren Beruf, als den des Arztes“ heißt es auf Seite 11. Und warum ist er dann keiner mehr, sondern nur npch Manager und Unternehmer im Gesundheitswesen? Wie kann also dem kritischen Ärztemangel in Deutschlang entgegen gewirkt werden, wenn jemand wie Müschenich für seine Ausübung plädiert, aber die vielen nicht-medizinischen Nebenerscheinungen glorifiziert`Wenn seine Vita im Widerspruch zu dem Buchinhalt steht? Und wie können mit seiner Hilfe künftige und kurative Ärzte Freude am Beruf finden, wenn sie die 55 vermeintlichen Vorteile fast ausnahmslos in einem anderen anspruchsvollen Beruf finden könnten? Denn was Müschenich in seinen Argumenten beschreibt, könnte doch genauso gut auf jeden anderen Menschen zutreffen, der engagiert, klug, flexibel und offen ist. Er muss kein Arzt sein, um auf Partys nicht lange allein zu bleiben, Präsident zu werden, Leben zu retten und ein Held zu sein. Die 55 Gründe sind also viel zu pauschal. Und leider auch oberflächlich.

Fazit: Ein angenehmes, aber leider überflüssiges Buch mit vielen übertriebenen Beschönigungen. Naive, karriereorientierte und zielstrebige Studienanfänger könnten auf diese rosigen Köder hereinfallen. Doch erfahrene, kritische Ärzte werden das Buch höchstwahrscheinlich belächeln und allerhöchstens wegen des einen oder anderen Witzes oder Beispiels lächeln.

55 gründe arzt zu werden, Ärzte, bichrezension,
Buchkritik, Manager, markus müschenich, murmann verlag, ratgeber, studenten, Studium