Burnout bei Medizinern
von Denise Peikert, Journalistin
Ärzte sind anfälliger für psychische Erkrankungen als andere Berufsgruppen. Was Krankenhäuser trotz stressigen Alltags dagegen tun können, wird an der Uniklinik in Mainz erprobt.
Grafik und Illustration Ilona Burgarth
Ärzte sind anfälliger für psychische Erkrankungen als andere Berufsgruppen. Was Krankenhäuser trotz stressigen Alltags dagegen tun können, wird an der Uniklinik in Mainz erprobt. Noch wissen die Forscher dortnicht sicher, was hilft.Das größere Problem sind aber die Strukturen in den Kliniken.
Wenn sich die Oberärzte der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Mainz zur Leitungskonferenz treffen, dann muss ihre Besprechung immer noch einmal anderthalb Minuten warten. So lange dauert die Achtsamkeitsübung, die die Ärzte gemeinsam machen, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit zuwenden. Und manchmal, in der „Woche des Innehaltens“, fallen die Besprechungen gleich ganz weg.
Wer sich fragt, wozu das alles gut sein soll, der muss mit Oliver Tüscher reden. Er arbeitet an der Uniklinik in Mainz, genauer am Deutschen Resilienzzentrum, und hat alarmierende Zahlen: „Zehn bis 30 Prozent aller Mitarbeiter in einem Krankenhaus erfüllen die Zustandsbeschreibung Burn Out“, sagt er. Das heißt nicht, dass diese Mediziner und Pfleger alle krank sind. Aber sie sind mit ihrer Arbeit überfordert und emotional erschöpft.
An dieser Überforderung leiden vor allem die jungen Ärzte. "Die Krankheitstage werden weniger, je höher ein Mediziner in der Hierarchieebene steht", sagt Tüscher. Wie genau Assistenzärzte unter ihrer Arbeitsbelastung leiden, dazu hat der Hartmannbund Anfang März eine Umfrage veröffentlicht.
Der Berufsverband der Ärzte hat dazu von Dezember 2016 bis Januar 2017 mehr als 1300 Assistenzärzte in Kliniken befragt: Wie viele Überstunden sie machen, als wie groß sie ihre Arbeitsbelastung einschätzen und wie zufrieden sie insgesamt sind.
Die Ergebnisse sind erschreckend: Gut 76 Prozent der jungen Ärzte geben an, dass sie schon einmal zur Arbeit gegangen sind, obwohl sie krank waren und eigentlich nicht hätten arbeiten können und dürfen.
Und auch im Normalfall, also im gesunden Zustand, ist die Arbeitsbelastung enorm: Mehr als 70 Prozent der Befragten macht jede Woche bis zu zehn Überstunden. Bei gut 16 Prozent sind es sogar zehn bis 15 Stunden Mehrarbeit. Mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, dass ihr Privatleben unter der Arbeit leidet.
Nur knapp ein Viertel der jungen Ärzte bemerkt bislang noch überhaupt keine Folgen der hohen Arbeitsbelastung für Ihre Gesundheit. Knapp 30 Prozent der Befragten empfinden ihre Arbeitsbelastung dagegen als so groß, dass sie mit Schlafmangel zu kämpfen haben. Viele befürchten gesundheitliche Beeinträchtigungen, mehr als jeder zehnte leidet schon darunter.
Das Risiko, in so einem Zustand mit der Zeit zum Beispiel eine Depression zu entwickeln oder eine psychosomatische Schmerzstörung, ist hoch. Damit das nicht passiert, setzt Oliver Tüscher von der Uniklinik Mainz schon im Stadion vor der Krankheit an: Er sagt, es müsse die Resilienz, also die Widerstandskraft der Menschen gestärkt werden.
Resilienz ist seit einiger Zeit in Mode - was das genau ist und wodurch sie gestärkt werden kann, ist aber noch recht unerforscht. Was Tüscher weiß: Der Begriff resilient stammt aus der Materialwissenschaft und beschreibt einen Zustand, in dem etwas ungeachtet äußerer Einflüsse stabil bleibt. Inzwischen weiß man auch, das Menschen unterschiedliche hohe Resilienz gegen die Widrigkeiten des Lebens aufweisen. Erforscht wurden psychosoziale Risikofaktoren. So hat man beispielsweise herausgefunden, dass Kinder aus schwierigen Verhältnissen diesen besser trotzen können, wenn sie eine Bezugsperson haben, die sie unterstützt.
Aber, und das ist das Forschungsfeld von Oliver Tüscher: „Wir wissen nicht genau, ob all das, was gerade in Mode ist, also Achtsamkeitsübungen und Yoga, wirklich die Resilienz fördert“, sagt der Psychiater vom Deutschen Resilienzzentrum. Dort untersuchen sie deshalb nun neurowissenschaftlich, was zur Vorbeugung von psychischen Erkrankungen wirklich hilft.
Bis es belastbare Ergebnisse gebe, „machen wir halt einfach“, wie Tüscher sagt. Dazu zählt eben, dass die Ärzte sich vor ihren Konferenzen kurz zu einer Achtsamkeitsübung zusammen setzen. Außerdem haben sie sich in Mainz von einer amerikanischen Universitätsklinik etwas abgeschaut, das sie den "Resilienz-Notfallwagen" nennen. Das ist ein Schiebewagen, den die Pfleger und Ärzte abwechselnd durch die Klinik rollen und von dem aus sie Kaffee ausschenken - und ihre Kollegen so zu einer kurzen Pause einladen.
Tüschers will dafür werben, dass andere Kliniken in Deutschland das auch so machen - bislang sind die Mainzer nämlich die einzigen. Wie aber die chirurgische oder internistische Abteilung einer großen Klinik davon zu überzeugen, ihrem Personal regelmäßige Entspannungszeiten einzuräumen?
Diese Frage beschäftigt nach der Umfrage unter Assistenzärzten auch den Hartmannbund. Er will mit den Ergebnissen der Studie nun vor allem auf Klinikbetreiber zugehen. „Wir müssen mit Krankenhausträgern nicht nur über Gehälter, sondern intensiver auch über Arbeitsbedingungen sprechen“, sagte der Hartmannbund-Vorsitzende Klaus Reinhardt im Gespräch mit dem "Deutschen Ärzteblatt". Es gibt Reinhardts Worten zufolge Dinge, die man kurzfristig anpacken kann. Aber, so der Verbandschef, man dürfe sich nichts vormachen: "Wir reden angesichts der vorhandenen Strukturen auch über Prozesse, die wir nicht von heute auf morgen bewältigen werden.“
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